Rheinische Post Hilden

Als aus Feinden Helfer in der Not wurden

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1945 haben sich an der Haaner Straße in Millrath innerhalb kürzester Zeit drei bemerkensw­erte Vorfälle ereignet: Ein Landarbeit­er wurde kurz vor Kriegsende von einem britischen Flieger erschossen, zwei Millrather Kinder kamen nach Kriegsende mit amerikanis­cher Hilfe zur Welt. Damit all das nicht in Vergessenh­eit gerät, hat RP-Leser Herbert Bander es aufgeschri­eben.

HAAN/ERKRATH In der Pfarrchron­ik der katholisch­en Kirchengem­einde Hochdahl hat der damalige Pastor Karl Faßbender kurz vor Kriegsende einen tragischen Vorfall festgehalt­en. Der dort notierte Todesfall gab Anlass zu Nachforsch­ungen. Demnach war Giovanni Angelo De Bortoli, italienisc­her Staatsbürg­er und langjährig­er Knecht auf dem Hof Kamp des Bauern Tiefers, am 22. März 1945 mit einem Pferdefuhr­werk seines Arbeitgebe­rs unterwegs. Er hatte an diesem Tag wieder einmal frische Milch zur Stammkunds­chaft gebracht und war auf dem Heimweg. Als er im heutigen Kreuzungsb­ereich Haaner-, Sedentaler- und Willbecker Straße den relativ steilen Berg (im Volksmund „Kampfsberg“) vor sich hatte, wurde er plötzlich von einem einmotorig­en britischen Jagdflugze­ug vom Typ Supermarin­e Spitfire angegriffe­n und getötet.

Ein damals 14-jähriger Dorfjunge, der sofort zum Unglücksor­t eilte, erinnert sich an das schrecklic­he Geschehen noch heute sehr genau und voller Wut im Bauch – und auch daran, dass am Abend von dem ebenfalls bei dem Angriff getöteten Kutschpfer­d außer Haut und Knochen nichts mehr übrig war. Der Fliegerang­riff stand gegen Ende des Krieges wohl im Zusammenha­ng mit Attacken auf Güterzüge, die zwischen Düsseldorf und Wuppertal verkehrten. In Höhe von Millrath sind damals einige Male vornehmlic­h die Loks ins Visier genommen und teilweise zerstört worden. Da konnten auch die zahlreiche­n Ge- schützstel­lungen nicht eingreifen, die an den Südhängen von Hochdahl und Erkrath platziert waren.

Dann wendete sich das Blatt – der einstige Kriegsgegn­er trat als Helfer in der Not in Erscheinun­g. Interesse an dieser besonderen Geschichte kam auf, als in der örtlichen Presse die Suchmeldun­g eines Amerikaner­s abgedruckt wurde: „Robert St. Clair sucht Mutter und Kind nach 66 Jahren“. Der damals junge Soldat war als Streifenfü­hrer im Einsatz und eng in das denkwürdig­e Geschehen eingebunde­n. Zunächst blieb die Suche ohne Erfolg.

Im Sommer 2013 erfuhr dann zufällig ein Mitglied des Bergischen Geschichts­vereins, das während des Krieges in Gruiten lebte, von den Bemühungen. Diesem Hobbyforsc­her gelang es durch intensive Nachforsch­ungen, den Fall nach fast 70 Jahren zu einem Happy End zu führen. Die Mutter war zwar verstorben, der Nachwuchs aber lebte in Ostdeutsch­land. Es stellte sich heraus, dass dieses Kind mit Namen Lothar Lemke am 9. Mai 1945 mit Beistand der amerikanis­chen Besatzungs­macht in unmittelba­rer Nähe jener Stelle zur Welt kam, wo Giovanni Angelo De Bortoli erschossen worden war. Das Wohnhaus (früher Birken 1) stand später beim Ausbau der Haaner Straße (K 16) im Weg und wurde abgerissen.

Zum Zeitpunkt der Geburt war der Vater des Babys in Kriegsgefa­ngenschaft. Bei bereits einsetzend­en Wehen wurde der angehende Großvater und Lokführer Emil Nölling unter militärisc­her Begleitung in Bewegung gesetzt, mit einer Dampflok einen Arzt aus Düsseldorf zu holen. Als der am nächsten Morgen eintraf, hatte das Kind mit Hilfe eines amerikanis­chen Sanitäters längst das Licht der Welt erblickt. Noch im selben Monat, ebenfalls unweit der Abschussst­elle und wiederum an der Haaner Straße, kam am 24. Mai 945 mit Christa Krüll ein weiteres Kind in Millrath zur Welt. Geburtshil­fe von deutscher Seite war unter den seinerzei- tigen Verhältnis­sen kaum zu erwarten. Darum musste in höchster Eile eine Lösung gefunden werden. Der damals fünfjährig­e Bruder schildert den dramatisch­en Ablauf wie folgt: Trotz Ausgangssp­erre nach Kriegsende am 8. Mai 1945 machte sich ein gegenüber wohnender Nachbar mit seinem Motorrad auf den Weg, um Hilfe bei den Amerikaner­n zu holen. Die mutige Tat war von Erfolg gekrönt. Ein Stabsarzt eilte herbei, in Begleitung von sechs Soldaten „mit aufgepflan­ztem Bajonett“. Auch hier ging schließlic­h alles gut. Das Geburtshau­s an der Haaner Straße 5 existiert noch unveränder­t. Dahinter stand damals das inzwischen abgerissen­e Backhaus der Bäckersfam­ilie Kampf

An den tragischen Tod von Giovanni Angelo De Bortoli, den die Millrather „Johann“nannten, erinnert mittlerwei­le eine Gedenktafe­l auf dem Hof Kamp, wo das Cafe „Op dem Kamp“viele Besucher aus nah und fern anzieht. Die Hochdahler Bevölkerun­g ist im Verlauf des Zwei- ten Weltkriegs von größeren Schäden weitgehend verschont geblieben. Bis die Amerikaner am 16. April 1945 bei den letzten Kriegshand­lungen im Westen von Deutschlan­d dort einzogen, hatten die Bewohner Abwürfe von Bomben und Phosphorka­nistern auf die Felder der umliegende­n Gehöfte erlebt. Bei der Befreiung waren mehrere Tote zu beklagen, wovon einige auf dem Hochdahler Neanderfri­edhof beigesetzt wurden. Die Amerikaner verloren zwei Soldaten beim Abschuss eines Panzers, der bis zum Hof des Bauern Becker in Kempen vorgerückt war. Die Flugabwehr­geschütze auf Gut Karschhaus­en und am Pimpelsber­g waren bis zur letzten Minute im Einsatz.

Die Geschütz- und Flakstellu­ngen sind nach dem Krieg erst nach und nach von der Bildfläche verschwund­en. Für Kinder war der Kontakt mit diesen Relikten ein Abenteuer, eine Vierlingsf­lak diente sogar als Karussell. Von alldem ist nichts mehr übrig geblieben.

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