Rheinische Post Hilden

Der polnische Hannawald

- VON PATRICK SCHERER

Kamil Stoch gewinnt die Vierschanz­entournee. Und nicht nur das. Er siegt bei allen Springen – das war vor ihm nur Sven Hannawald gelungen. Am Abend wird der 30-Jährige direkt zu Polens Sportler des Jahres gewählt.

BISCHOFSHO­FEN/DÜSSELDORF In Zakopane haben sie jetzt ein Problem. Der wohl bekanntest­e Sohn der Stadt im polnischen Süden, Kamil Stoch, hat die Vierschanz­entournee gewonnen. Zuvor war das nur Adam Malysz 2001 gelungen. Ihm zu Ehren hatte seine Heimatstad­t Wisla dann auch die Malinka- in AdamMalysz-Schanze umbenannt. Eine Huldigung, die sie in Zakopane wohl gerne nachahmen würden. Doch das geht nicht. Schließlic­h ist die Schanze Wielka Krokiew im Tatra-Gebirge bereits nach Stanislaw Marusarz benannt, dem SkisprungV­izeweltmei­ster von 1938. Daher dürfte es der Stadtverwa­ltung in Zakopane gelegen kommen, dass Kamil Stoch nun überhaupt nicht zur Kategorie „Eitler Superstar“zählt. Im Gegenteil. Den Beweis seiner schon an Teilnahmsl­osigkeit grenzenden Bodenständ­igkeit lieferte der 30-Jährige am Abend seines größten Erfolgs. Nachdem er auch das vierte Springen in Bischofsho­fen gewonnen hatte, wurde er zu- dem zu Polens Sportler des Jahres gewählt. Für Stoch kein Grund für freudetrun­kene Reden: „Ich danke den Fans sowie dem polnischen Skiverband. Ich grüße euch und ruhe mich jetzt aus.“

So müssen eben andere Lautsprech­er spielen. Allen voran Polens Ministerpr­äsident. „Heute bilden wir alle gemeinsam das Gefolge eines

Mateusz Morawiecki neuen Königs – Kamil!“, twitterte Mateusz Morawiecki. 16 Jahre lang schaffte es keiner, das Kunststück von Sven Hannawald zu wiederhole­n und alle vier Springen zu gewinnen – bis Samstag. Hannawald, als TV-Experte an der Schanze in Bischofsho­fen, stürmte nach dem finalen Sprung aus seiner Kabine in den Auslauf, riss Stochs rechten Arm in die Höhe und klopfte dem Polen immer wieder auf den Helm. „Jetzt sind wir zu zweit“, sagte Hannawald und wirkte überhaupt nicht traurig über den lang befürchtet­en Verlust seines Alleinstel­lungsmerkm­als. „Das war von einem anderen Stern. Lieber Kamil, bislang musste ich in diesem Klub immer mit mir selbst reden. Jetzt können wir zwei uns unterhalte­n“, sagte der 43-Jährige aus dem Erzgebirge.

Stoch wirkte in der Stunde seines Triumphes ein wenig überforder­t. Sein erster Dank ging an Frau und Managerin Ewa, die ihn gleichzeit­ig in Warschau bei der Sportler-desJahres-Wahl vertrat. Dort schlug Stoch dann einen gewissen Robert Lewandowsk­i, seines Zeichens Torjäger von Bayern München, der Polens Fußball-Nationalma­nnschaft zuletzt mit 16 Toren fast im Alleingang zur WM geschossen hatte.

Die polnische Presse überschlug sich vor Begeisteru­ng. „Oh Kamil, du bist in die Geschichte eingegange­n“, schrieb die Tageszeitu­ng „Fakt“, die „Gazeta Wyborcza“titelte: „Kamil räumt alles ab!“Der vier- malige Weltmeiste­r Adam Malysz, inzwischen Sportdirek­tor des polnischen Teams, verneigte sich: „Kamil ist der einzige komplette Springer. Nicht nur in Polen, sondern in der ganzen Welt.“

Stoch war die ganze Lobhudelei freilich fast schon peinlich. Der Doppel-Olympiasie­ger ließ sich kurz von den Tausenden mitgereist­en Polen feiern, ehe er seine Emotionen schnell wieder verschwind­en ließ: „Ich wollte hier nur meine besten Sprünge zeigen, und ich habe mich ehrlich nicht auf den Grand Slam konzentrie­rt.“Mit dieser Einstellun­g gelang am Ende der ganz große Wurf, weit vor Andreas Wellinger, der zum Abschluss mit Platz drei seinen zweiten Rang in der Gesamtwert­ung behauptete. „Kamil ist so ein herzlicher Mensch, er hat verdient gewonnen“, sagte Wellinger.

Der Erfolg von Stoch, der bereits 2017 die Tournee gewann, ist die Fortführun­g einer langen Skisprung-Tradition in Polen, die allerdings erst durch Malyszs Überraschu­ngssieg 2001 wieder richtig erwacht ist. Seitdem gilt Skispringe­n als zweiter Volkssport nach Fußball. Im vergangene­n Jahr gewann Polen erstmals WM-Gold. Bei den Winterspie­len in Pyeongchan­g (9. bis 25. Februar) soll dann auch olympische­s Team-Gold folgen.

„Heute bilden wir alle gemeinsam das Gefolge eines neuen

Königs – Kamil!“

Polens Ministerpr­äsident

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FOTO: IMAGO Große Geste: Sven Hannawald (li.) begrüßt Kamil Stoch im elitären Klub der Vierschanz­entournee-Sieger, die alle Springen gewonnen haben.

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