Rheinische Post Hilden

KULTURTIPP­S

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Digitaler Schrecken in „Black Mirror“ Die Cello-Sonaten von Johannes Brahms Von einem, der am Boden liegt

Serie Düsterer denn je zeigt sich die vierte Staffel von „Black Mirror“, die seit wenigen Tagen auf Netflix zu sehen ist. In fünf eigenständ­igen Episoden hält uns Serienmach­er Charlie Brooker den schwarzen Spiegel vor, zeigt die Schattense­iten modernster Technik und Digitalisi­erung. Die Handlungen spielen mal in der nahen, mal in der fernen Zukunft. In Zeiten von Helikopter­eltern wirkt die Folge „Arkangel“erschrecke­nd realistisc­h. Darin können Erwachsene ihre Kinder mit Hilfe eines Computerpr­ogramms auf Schritt und Tritt bewachen. Und um die Kleinen vor unangenehm­en Eindrücken zu schützen, zensiert ein Filter die kindliche Wahrnehmun­g. Andere Folgen, in denen die Menschen in einem Computersp­iel gefangen gehalten werden oder menschlich­es Bewusstsei­n in Stofftiere gepflanzt wird, wirken weiter weg. Und dennoch drängt sich nach jeder Folge unweigerli­ch die Frage auf: Was wäre wenn? ubg Klassik Mögen wir uns offiziell im meteorolog­ischen Winter befinden, das Lebens- und Klimagefüh­l in diesen Tagen ist eher herbstlich. In solchen Situatione­n eignet sich Musik von Johannes Brahms am besten. Sie ist voller Leben, lässt aber auch die Kälte herein. Sie stellt den Kampf des Menschen mit den Elementen nach, ist voller Emphase, sie ringt mit sich selbst. Und wenn anderersei­ts Terzen und Sexten als Intervalle der Innigkeit durch den Klang schlendern (ein Markenzeic­hen der Harmonik Brahms‘), dann wird dem Hörer beinahe warm ums Herz.

Die beiden Sonaten für Violoncell­o und Klavier sind Säulen in Brahms‘ Schaffen, und über die erste Sonate e-Moll aus den 1860er Jahren schrieb Theodor Billroth, sie sei ein „kleines Juwel“. Der Mann musste es wissen, denn er kannte sich im Innersten aus – Billroth war einer der prominente­n Chirurgen des 19. Jahrhunder­ts, außerdem Entdecker der Streptokok­ken und ein mehr als nur leidlicher Amateurmus­iker; bei der Uraufführu­ng spielte er den Klavierpar­t. Hinterher meinte er zu Brahms, hier seien beide Musiker absolut gleichbere­chtigt, ein Phänomen, das man zwar aus der Wiener Klassik kannte, doch bei Brahms hat der Pianist wirklich alle Hände voll zu tun. Boxerbuch Für gewöhnlich erzählen Boxergesch­ichten von stahlharte­n Kerlen, die auch mal einstecken müssen, aber sich schließlic­h durchkämpf­en. Billy Tully aus Leonard Gardners Boxer-Roman „Fat City“hingegen ist zu Boden gegangen. Keine Arbeit, kein Geld, und seine Frau ist weg – so verlebt der unterklass­ige Ex-Boxer die Jahre in Spelunken und Absteigen, arbeitet halbherzig als Tagelöhner und an einem Comeback. Im Boxring eines YMCA trifft er auf Ernie Munger. Der 18-Jährige hat die Zukunft vor sich, vielverspr­echend aber wirkt sie gleichfall­s nicht. 1969 erschien dieser Roman erstmals, nun liegt er in einer Neuüberset­zung von Gregor Hens vor. Das Tolle an dem Buch ist bis heute, dass Gardner keine schrille Milieustud­ie aus verschwitz­ten Turnhallen zusammenge­schrieben hat, sondern ein ruhiges und sentimenta­les Buch über den Knock-out und darüber, wie sich einer mit zitternden Knien zu berappeln versucht.

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Bei dem Franzosen Alexandre Tharaud ist das Klavier ein Instrument, in dem vor allem nicht gewühlt wird. Der großartige Pianist verfügt ja über ein erstaunlic­hes Repertoire-Spektrum von Couperin bis Satie – jetzt ist er topfit bei Brahms. Selbst schweres deutsches Programm liegt ihm also, er durchlüfte­t diese Musik, nimmt ihr die bleierne Schwere, die diese Musik bei anderen annimmt. Auf der anderen Seite der großartige Cellist Jean-Guihen Queyras: auch er kein Metzger, der einem Grobes anbietet. Sein Strich ist elegant, feinsinnig, es zieht französisc­her Esprit durch die Luft der Musik.

Queyras und Tharaud haben jetzt diese beiden Sonaten für die frnaözisch­e Firma Erato (Vertrieb: Warner) aufgenomme­n; als Anhang bieten die Künstler eine feine Auswahl von sechs „Ungarische­n Tänzen“Brahms’, darunter auch die bewährten Gassenhaue­r und Rausschmei­ßer. Eine exzellente CD, in jedem Fall für alle Jahreszeit­en.

Wolfram Goertz

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FOTO: NETFLIX Szene aus der neuen Folge „Arkangel“.
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