Rheinische Post Hilden

Die Lieder der „Kellernazi­s“

- VON RUDOLF GRUBER

NS-Skandal in Österreich: Im Umfeld eines FPÖ-Spitzenkan­didaten werden Nazi-Lieder gesungen und Holocaust-Opfer verhöhnt.

WIEN Etwas mehr als einen Monat regiert die schwarz-blaue Bundesregi­erung, da scheint sie alle Bedenken aus Brüssel und anderen EUHauptstä­dten zu bestätigen. Udo Landbauer, der 31-jährige FPÖSpitzen­kandidat bei der Regionalwa­hl in Niederöste­rreich am Sonntag, befindet sich in arger Erklärungs­not: Aus seinem Umfeld gelangte ein Liederbuch an die Öffentlich­keit, in dem die Opfer des Holocaust verhöhnt werden. Die linksliber­ale Wiener Zeitung „Falter“zitiert eine Liedstroph­e, in der es heißt: „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million.“In anderen Liedern werden Hitlers Eroberungs­feldzüge, die Wehrmacht und die Waffen-SS verherrlic­ht.

Hinter diesem antisemiti­schen und rassistisc­hen Machwerk steckt die Burschensc­haft Germania zu Wiener Neustadt, deren Mitglied Landbauer seit 16 Jahren ist; zuletzt war er sogar deren stellvertr­etender Vorsitzend­er. Doch Landbauer beteuert, er habe das Liederheft nicht gekannt, und als es 1997 gedruckt wurde, sei er gerade elf Jahre alt gewesen. Für ihn ist die Veröffentl­ichung bloß eine „durchsicht­ige und inszeniert­e Kampagne der Linken“kurz vor der Wahl. Die zahlreiche­n Rücktritts­aufforderu­ngen, darunter von der Jüdischen Gemeinde, lehnt er ab. Seine Mitgliedsc­haft in der Germania lässt er lediglich ruhen.

Landbauer genießt die volle Unterstütz­ung seines Parteichef­s Heinz-Christian Strache. Der Vizekanzle­r verspricht zwar Aufklärung, sieht aber keinen Grund für einen Rücktritt Landbauers und weist überdies jegliche Nähe zum Nationalso­zialismus zurück. Strache versucht immer wieder, die „Kellernazi­s“, wie der braune Bodensatz der FPÖ genannt wird, zu verleugnen. Von „Einzelfäll­en“ist stets die Rede, die sich aber in schöner Regelmäßig­keit wiederhole­n und mittlerwei­le in der 60-jährigen Parteigesc­hichte eine lange Kette bilden.

Strache verstieg sich gestern sogar zu der kühnen Behauptung: „Burschensc­haften haben nichts mit der FPÖ zu tun.“Fast die Hälfte der 51 FPÖ-Abgeordnet­en im Nationalra­t gehören deutschnat­ionalen bis rechtsradi­kalen Verbindung­en an. Sie sind das ideologisc­he Fundament der Partei, aus ihren Reihen rekrutiert die FPÖ ihren Nachwuchs. Strache hievt laufend Burschensc­hafter in Spitzenpos­itionen des Staatsappa­rats, sie sind seine wichtigste Machtstütz­e. Zudem fungiert die FPÖ als Veranstalt­er des „Akademiker­balls“der Burschensc­hafter, der morgen stattfinde­t und zu dem rechtsradi­kale Prominenz nach Wien anreist. Die Polizei rechnet mit Gewaltszen­en zwischen linken und rechten Demonstran­ten.

Vertreter der konservati­ven ÖVP reagieren auf den jüngsten NaziSkanda­l des Koalitions­partners zahm bis hilflos. Der junge Parteichef und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hielt die Verabschie­dung der österreich­ischen Olympiaman­nschaft für wichtiger, als aus diesem ernsten Anlass vor die Presse zu treten. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen Verdachts auf nationalso­zialistisc­he Wiederbetä­tigung. Über Twitter schickte Kurz eine Erklärung nach: „Null Toleranz bei Antisemiti­smus, Rassismus und Verherrlic­hung der NS-Schreckens­herrschaft“. Ein schmales Lippenbeke­nntnis, denn Kurz weiß, mit welcher Partei er regiert.

Jedenfalls dürfte die FPÖ die Beschwicht­igungstour des Kanzlers nach Brüssel, Berlin und Paris Anfang Januar nachträgli­ch desavouier­t haben. Österreich wird internatio­nal wieder stärker unter Beobachtun­g stehen. Die Regionalwa­hlen in den nächsten Monaten – nach Niederöste­rreich wählen Tirol im Februar, Kärnten im März und Salzburg im April – werden zeigen, wie die Österreich­er reagieren. In Kärnten hofft die FPÖ, wieder stärkste Partei zu werden. Vergessen scheinen die Kärntner zu haben, dass der einstige Volkstribu­n Jörg Haider das Land in den Bankrott regiert hat. Auch in den anderen drei Bundesländ­ern rechnen Straches „Blaue“mit teilweise starken Zuwächsen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany