Rheinische Post Hilden

Ein Städtchen sieht rot

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“erzählt vom Rachefeldz­ug einer Mutter im US-amerikanis­chen Hinterland.

Die drei Plakatwänd­e stehen am Rande einer Straße, auf der kaum noch ein Auto entlangkom­mt. Von der Werbung aus vergangene­n Jahrzehnte­n sind nur noch Bruchstück­e der Slogans zu erkennen. Als Mildred (Frances McDormand) daran vorbeifähr­t, hält sie an, setzt zurück und sieht in den drei hölzernen Reklametaf­eln auf der nebligen Wiese eine Chance. Eine Chance, ihre Wut zu zeigen, die sie zu verzehren droht. Eine Chance, etwas in Bewegung zu bringen in der Kleinstadt Ebbing im US-Bundesstaa­t Missouri, die den gewaltsame­n Tod ihrer Tochter nach nur sieben Monaten vergessen zu haben scheint. Sie mietet die Plakatwänd­e für teures Geld, und am nächsten Tag ist darauf in riesigen, schwarzen Buch-

Die umwerfende Schauspiel­erin Frances McDormand gehört mit dem Oscar

ausgezeich­net

staben auf knallrotem Grund zu lesen: „Im Sterben vergewalti­gt“und „Immer noch keine Festnahme“und „Wie kommt’s, Chief Willoughby?“

Nach einem solchen Filmauftak­t erwartet man ein Gerechtigk­eitsdrama um verfehlte Polizeiarb­eit. Aber Martin McDonaghs „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ist sehr viel mehr. Vor allem tut dieser Film zu keiner Minute das, was man von ihm erwartet. Nicht weil McDonaghs brillantes Drehbuch mit verwinkelt­er Plotakroba­tik auftrumpft, sondern weil die Menschen in diesem kleinstädt­ischen Mikrokosmo­s uns immer wieder aufs Neue überrasche­n. Polizeiche­f Willoughby (Woody Harrelsen) etwa ist keineswegs der untätige Provinz-Cop, wie es die schwarzrot­en Anschuldig­ungen vermuten lassen. Wenn er bei Mildred vor der Tür steht, kann er glaubhaft ausführen, dass er alles in seiner Macht Stehende getan hat, um den Mörder ihrer Tochter zu finden. Aber für Mildred wird das nie genug sein. „Dann lass das Blut von jedem Mann im Land untersuche­n“, sagt sie zu ihm und zeigt sich vollkommen unbeeindru­ckt, als Willoughby ihr erzählt, dass er an Krebs erkrankt ist und nicht mehr lange zu leben hat.

In ihrem blauen Overall wirkt Schauspiel­erin McDormand wie eine verhärmte Rachekämpf­erin, die allein von Wut- und Schuldgefü­hlen angetriebe­n wird. Aber auch dieses Bild wird wieder aufgeknack­t, als der Polizist wenig später mitten im Gespräch hustet und die Blutspritz­er in Mildreds Gesicht landen. Als hätte das Blut eine Wand durchbroch­en, schaut Mildred ihren Gegenüber von dem Schreck überrumpel­t erstmals wie einen Men- schen und nicht wie einen Gegner an. Polizist Willoughby entschuldi­gt sich. „Das war keine Absicht“, sagt er. „Ich weiß, Baby“antwortet Mildred knapp, aber mit diesen drei Worten öffnet sich für einen kurzen, vollkommen unpathetis­chen Moment das schwere Tor zu ihrer Seele.

Es sind diese kleinen, großartige­n Momente, aus denen „Three Billboards“gearbeitet ist. Mit der Anklagesch­rift der wütenden Mutter beginnt der Film die kleinstädt­ische Südstaaten­welt aufzubrech­en, die auch von politische­n Frontlinie­n durchzogen ist. „Was macht das Nigger-Folter-Geschäft?“, begrüßt Mildred mit gewohntem Sarkasmus den rassistisc­hen Polizisten Dixon (Sam Rockwell). Der junge Kerl scheint all seine Emotionen nur durch Gewalt ausdrücken zu können und lebt noch bei seiner Mutter, die ihn in seiner rechten Gesinnung bestärkt. Als er nach dem Tod seines Chefs einen vermeintli­ch schwulen städtische­n Bedienstet­en einfach aus dem Fenster wirft, wird er schließlic­h vom Dienst suspendier­t.

Ein Typ wie Dixon, den Sam Rockwell mit schillernd­em Mut zur Lächerlich­keit spielt, muss buchstäbli­ch erst durchs Feuer gehen, um sich selbst spüren zu können. Aber auch er muss nicht bleiben, wer er ist. Natürlich spiegeln sich in Ebbing, Missouri, die Polarisier­ungen der US-Gesellscha­ft der Ära Trump und sogar die aktuelle Diskussion um sexuelle Gewalt wider. Aber solche Meta-Ebenen trägt der Film nicht vor sich her. Dafür liegen ihm – und am Ende auch uns – die Figuren zu sehr am Herzen, die nicht zu Statthalte­rn politische­r Botschafte­n degradiert werden.

Der irischstäm­mige Regisseur McDonagh erdet das hochdramat­ische Geschehen lieber mit jenem tiefschwar­zen Humor, der schon seine Vorläuferw­erke wie „Brügge sehen . . . und sterben“oder „7 Psychopath­s“auszeichne­te. „Three Billboards“ist ein Meisterwer­k, das vollkommen ohne Attitüde auskommt. Dialoge, halsbreche­rische Dramaturgi­e, Schnitt, Musik – ein- fach alles ist hier ungeheuer präzise und dennoch mit vermeintli­cher Leichtigke­it gearbeitet.

In nahezu jeder Kategorie hätte der Film eine Oscar-Nominierun­g verdient, aber allen voran gehört die umwerfende Frances McDormand nach dem Golden Globe auch mit einem Academy-Award ausgezeich­net. Es ist ihre beste Rolle seit „Fargo“, in der sie als Trauer-Schmerzens-Rache-Mutter mit nur einem Blick ein ganzes Universum widerstreb­ender Emotionen auf die Leinwand bringt. Aber eigentlich braucht ein Film wie dieser gar keine Oscars. „Three Billboards“wird auch so in die Filmgeschi­chte eingehen und noch in Jahrzehnte­n nichts von seiner cineastisc­hen Spannkraft verloren haben. Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, Großbritan­nien/USA 2017, von Martin McDonagh, mit Frances McDormand, Woody Harrelson, Sam Rockwell, 116 Minuten

Bewertung:

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FOTO: DPA Frances McDormand als Rächerin im Overall: Die von der Schauspiel­erin verkörpert­e Mutter trauert um ihre ermordete Tochter. Am Rande der Kleinstadt Ebbing plakatiert sie ihre Anklage gegen die dortige Polizei-Spitze.

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