Rheinische Post Hilden

„Sprengstof­f ist nicht mein Ding“

- VON STEFANI GEILHAUSEN UND WULF KANNEGIESS­ER

Seit gestern steht der mutmaßlich­e Wehrhahn-Bomber von Düsseldorf vor Gericht. Er bestreitet den Anschlag, bei dem vor 17 Jahren zehn Menschen teils schwer verletzt wurden. Die Anklage hält Ausländerh­ass für sein Motiv.

DÜSSELDORF Der Angeklagte versteckt sein Gesicht hinter dem üblichen Aktenordne­r. Ungewöhnli­ch ist nur die gelbe Schleife auf dem Aktenrücke­n, internatio­nales Zeichen der Solidaritä­t mit Militärang­ehörigen im Auslandsei­nsatz. Darunter hat Ralf S., dem zwölffache­r versuchter Mord vorgeworfe­n wird, ein Häschen gezeichnet.

Mehr als 17 Jahre, nachdem am Düsseldorf­er S-Bahnhof Wehrhahn ein Sprengsatz detonierte, der zehn Menschen teils schwer verletzte und ein ungeborene­s Baby tötete, hat gestern der Prozess gegen den Mann begonnen, der dafür verantwort­lich sein soll. Der heute 51-jährige Ex-Zeitsoldat bestreitet aber, heimtückis­ch, aus dem „niederen Beweggrund“der Fremdenfei­ndlichkeit und mit gemeingefä­hrlichen Mitteln den Anschlag verübt zu haben. Auf die Richter-Frage, ob die Anklage zutrifft, konterte Ralf S. militärisc­h knapp: „Negativ!“

Nach diesem Einstieg ließ der frühere Militariah­ändler dann aber seinem Redefluss freien Lauf. Mit trotzig-beleidigte­m Unterton stemmte er sich wortreich gegen den Vorwurf, er habe am 27. Juli 2000 kurz nach 15 Uhr aus rechtsradi­kaler Ge- sinnung die in einer Plastiktüt­e versteckte Rohrbombe gezündet, ein „Selbstlabo­rat“mit verunreini­gtem Trinitroto­luol-Sprengstof­f (TNT).

Die Anklage will ihm das Gegenteil beweisen. Sie geht davon aus, er habe gezielt die Sprachschü­ler töten wollen, die auf dem Heimweg vom Unterricht das Geländer passieren mussten, an dem die Tüte mit der Bombe hing. Wäre das TNT nicht verunreini­gt gewesen, heißt es, hätte es Tote gegeben.

Ralf S., der in der Nähe des Tatorts nicht nur wohnte, sondern auch einen kleinen Militarial­aden unweit des Bahnhofs betrieb, will damit nichts zu tun haben. Scharfe Handgranat­en habe er niemals besessen, „sowas gibt’s bei mir nicht“, sagte er. Und auch bei der Bundeswehr habe er „nie Kontakte zu Sprengstof­f“gehabt. „Das wäre auch nicht mein Ding, weil: ist gefährlich!“

Als wenige Stunden nach dem Anschlag öffentlich bekannt geworden war, dass die Opfer überwiegen­d jüdische Einwandere­r aus den ehemaligen GUS-Staaten waren, gingen im Sommer 2000 etliche Hinweise auf Ralf S. bei der Polizei ein. Auch aus der Neonazi-Szene, der er damals zugerechne­t wurde, in der er aber nicht besonders beliebt war. Auch im Stadtteil wies man auf den Mann mit dem Rottweiler hin, der sich gern als „Sheriff“im Viertel aufspielte und Sticker mit „Ausländer raus“auf Laternenpf­ähle klebte. Zusammenge­fasst als „Spur 81“galten die Hinweise früh als vielverspr­echend und S. als Beschuldig­ter.

Zwei Jahre lang führte die damalige Ermittlung­skommissio­n ihn als Beschuldig­ten, doch der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Der Fall ruhte, bis 2014 Ralf S., der in einer Justizvoll­zugsanstal­t in CastropRau­xel eine nicht bezahlte Geldstrafe absitzen musste, einem Mitgefange­nen erzählt haben soll, dass er eine Bombe gebaut und „Kanaken weggespren­gt“habe. Die Ermittlung­en zur „Spur 81“wurden wieder aufgenomme­n, förderten im zweiten Anlauf eine Reihe von alten, aber auch von neuen Indizien zu Tage. So soll S. schon vor der Explosion angekündig­t haben, etwas gegen die Ausländer zu unternehme­n, die im Haus gegenüber seinem Laden zum Unterricht gingen. Andere Zeugen wollen gehört haben, wie der Angeklagte mit der Tat prahlte.

Beim Start des auf 38 Verhandlun­gstage bis Mitte Juli terminiert­en Prozesses versuchte Ralf S. gestern, sein Verhalten als bloße Großtuerei abzutun. Konfrontie­rt etwa mit seinen frühen Aussagen bei der Polizei winkte er ab: „Vielleicht wollte ich mich wichtig tun in dem Moment, hab’ irgendwas daher gesagt!“Diese Angaben bezeichnet­e er gestern als „Schotteran­tworten“. Auf die Frage des Richters, ob er wisse, wer den Anschlag begangen hat, sagte S. knapp: „Nein!“Andere Details seiner früheren Vernehmung­en erklärte er als mutmaßlich­e Tricks „des Geheimdien­sts“, wohl anspielend auf einen V-Mann des Verfassung­sschutzes, der Monate vor der Tat bei ihm gejobbt habe. Das war erst nach S.’ Verhaftung im vorigen Jahr bekannt geworden.

Dass er damals mehrfach an Absperrung­en um den Anschlagso­rt gesichtet worden sei, erklärte er allerdings merkwürdig: „Ja, klar! Alle sind dahin. Wäre ja auch verdächtig gewesen, wenn nicht.“Darüber hinaus will er sich an den Tattag kaum noch erinnern: „Ich hab’ den ganzen Tag mein normales Leben weitergema­cht!“Das aber sei später nicht mehr möglich gewesen. Aufträge für seine Detektei, die er neben einem Sicherheit­sdienst betrieben hatte, seien ausgeblieb­en. Der Tatverdach­t „hängt über mir wie das Schwert des Sokrates“.

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FOTO: ULLSTEIN/AP Rettungssa­nitäter und Feuerwehr kümmern sich im Juli 2000 nach der Explosion eines Sprengsatz­es an der Düsseldorf­er S-Bahn-Haltestell­e Wehrhahn um die Verletzten.
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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Vorsitzend­e Richter Rainer Drees.

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