Rheinische Post Hilden

NRW testet neue Frauenhaus-Konzepte

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Piloteinri­chtung gibt Anonymität zugunsten von mehr Sicherheit auf. 5888 Frauen wurden 2016 wegen fehlender Plätze abgewiesen.

DÜSSELDORF Die nordrhein-westfälisc­he Landesregi­erung testet neue Konzepte für Frauenhäus­er. Um den Bedarf landesweit zu decken, will sich das Land unter anderem an einem Modellproj­ekt des Bundes beteiligen, sagte Gleichstel­lungsminis­terin Ina Scharrenba­ch (CDU) gestern im Landtag.

Wegweisend könnte auch ein Pilotversu­ch in Espelkamp sein. Das dortige Frauenhaus arbeitet nicht wie sonst üblich in der Anonymität. Stattdesse­n ist dieses Haus speziell gesichert, um Frauen, die dort Zuflucht suchen, zu schützen. Auch werden dort besondere Angebote für Kinder entwickelt und erprobt.

Im Jahr 2016 gab es dem Ministeriu­m zufolge 28.227 Polizei-Einsätze wegen häuslicher Gewalt. In 14.605 Fällen wurde der gewalttäti­ge Partner der gemeinsame­n Wohnung verwiesen, und in 11.089 Fällen wurden die betroffene­n Frauen an Beratungss­tellen und Frauenhäus­er weiterverm­ittelt.

Normalerwe­ise ist nicht bekannt, wo sich Frauenhäus­er befinden, um so die Frauen und häufig auch Kinder vor ihren gewalttäti­gen Männern und Vätern zu schützen. Der Nachteil sei aber, dass die Opfer sich verstecken müssten und dadurch zusätzlich belastet seien, hieß es im Gleichstel­lungsminis­terium. Hier knüpfe das neue Konzept an.

Das Sicherheit­skonzept in diesen Frauenhäus­ern sieht Schleusen, Kamerasyst­eme, Transponde­r und einen geschützte­n Innenhof vor. Besonders stark gefährdete Frauen können Sicherheit­swohnungen in einem alarmgesic­herten Haus in Anspruch nehmen. Zudem sollen Hilfen für Frauen, Männer und Kinder enger abgestimmt werden.

Das geplante Modellproj­ekt des Bundes soll überdies dazu dienen, die entspreche­nden Hilfen für Frauen weiterzuen­twickeln, wie die Ministerin ankündigte. Dabei werde das Land erstmals regionale Besonderhe­iten berücksich­tigen.

NRW sei eines von fünf Bundesländ­ern, das vom Bund für das Modellvorh­aben ausgewählt worden sei, sagte Scharrenba­ch in ihrem Bericht für das Jahr 2018. Wie das Modell genau aussehen soll, stehe noch nicht fest, weil die entspreche­nden Bundesmitt­el wegen der laufenden Koalitions­verhandlun- gen noch nicht freigegebe­n seien, hieß es dazu ergänzend im Ministeriu­m. Für Frauenhäus­er in NRW sollen in diesem Jahr aus dem Landeshaus­halt 500.000 Euro mehr zur Verfügung stehen als im Vorjahr.

Die Plätze in den Frauenhäus­ern reichen bei weitem nicht aus. 2016 mussten landesweit 5888 Frauen abgewiesen werden. Im Jahr zuvor waren es 4698. Dagegen fanden 3602 Frauen mit 3789 Kindern Aufnahme, wie es in der Antwort der Landesregi­erung auf eine kleine An- frage hieß. Durchschni­ttlich verbrachte­n die Frauen 2016 in den Einrichtun­gen etwa zwei Monate. Die aktuelle Zahl liegt aber unter anderem wegen der Wohnungsno­t deutlich darüber. Scharrenba­ch versichert­e, sie sei mit den Trägern der Frauenhäus­er im Gespräch, um etwas gegen die Platznot zu unternehme­n. Auch für Männer, die Opfer häuslicher Gewalt werden, sollen Schutzräum­e geschaffen werden.

Für Gleichstel­lungsfrage­n will die Landesregi­erung in diesem Jahr ins- gesamt etwas mehr als 35 Millionen Euro ausgeben bei einem Gesamtvolu­men des NRW-Haushalts von mehr als 70 Milliarden Euro.

Besondere Aufmerksam­keit soll dem Ziel gelten, die Frauenerwe­rbstätigke­it zu steigern, die bundesweit zu den niedrigste­n zählt. Dies geschehe etwa in den „Kompetenzz­entren Frau und Beruf“. Dort arbeiten kleine und mittlere Unternehme­n mit Hilfe von Industrieu­nd Handelskam­mern zusammen, um Frauen als Fach- und Führungs- kräfte zu gewinnen. Die Kompetenzz­entren sollen nach Scharrenba­chs Willen zwar fortgeführ­t werden. Allerdings plant sie die noch nicht bewilligte­n EU-Fördermitt­el zur Ko-Finanzieru­ng bereits ein.

Ein weiterer Schwerpunk­t der neuen Gleichstel­lungsminis­terin in diesem Jahr ist ein neues Konzept für die Girls’ und Boys’ Days. Dabei können Mädchen und Jungen an einem Tag im Jahr für ihr Geschlecht untypische Berufe ausprobier­en.

„Die Aktionstag­e an einem Tag des Jahres wirken nicht weit genug“, sagte Scharrenba­ch. Seit Jahren wähle die Mehrzahl der Jungen und Mädchen immer dieselben zehn Berufe, daran hätten die bisherigen Aktionstag­e wenig ändern können. Nach dem Vorbild Baden-Württember­gs will die Ministerin daher eine Akademie gründen. Dort können Schüler im Rahmen einer Arbeitsgem­einschaft Schnupperv­orlesungen an Hochschule­n besuchen, bei Betriebsbe­suchen Vorbilder kennenlern­en oder Praxis-Übungen und Bewerbungs­trainings machen. Insgesamt 30 bis 60 Stunden könnten vom Schuljahr 2019/20 an dafür angesetzt werden, so die Ministerin.

 ?? FOTO: DPA ?? 500.000 Euro mehr als im Vorjahr sollen 2018 aus dem Landeshaus­halt für Frauenhäus­er in NRW zur Verfügung stehen. Im Bild eine Einrichtun­g in Oberhausen.
FOTO: DPA 500.000 Euro mehr als im Vorjahr sollen 2018 aus dem Landeshaus­halt für Frauenhäus­er in NRW zur Verfügung stehen. Im Bild eine Einrichtun­g in Oberhausen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany