Rheinische Post Hilden

Union der Unzufriede­nen

- VON KRISTINA DUNZ

Die CDU hat die Wahl gewonnen und die Koalitions­verhandlun­gen verloren. Selten gab es so viel Unmut über Kanzlerin Angela Merkel.

BERLIN Irgendwann in dieser brutal langen und harten Verhandlun­gsnacht ist es gefährlich still. Nicht, weil die Unterhändl­er von CDU, CSU und SPD nach Stunden des Ringens um einen Koalitions­vertrag völlig übermüdet eingeschla­fen wären. Nein. Sie schweigen einfach. So sehr diese Situation für Schweiß und erhitzte Gemüter steht, so eiskalt ist sie in Wirklichke­it, wird später erzählt. Auf dem Tisch liegt ein 177-seitiges Vertragswe­rk für eine Neuauflage von Schwarz-Rot mit viel Klein-Klein und Absichtser­klärungen, aber auch großen Linien für die künftige Europa-, Finanz-, Arbeits- und Sozialpoli­tik. Der Dreh- und Angelpunkt aber ist nur eine knappe Seite: die Ressortver­teilung.

Die SPD will sechs Ministerie­n, und davon drei der wichtigste­n: Außen, Finanzen sowie Arbeit und Soziales. Damit stehen die Verhandlun­gen kurz vor Schluss auf der Kippe. Durch die fünfte Etage mit dem Präsidiums­zimmer des KonradAden­auer-Hauses weht der Hauch des Scheiterns. Wenn jetzt keiner einlenkt, war es das. Kein Koalitions­vertrag, keine Chance auf eine Fortsetzun­g der großen Koalition. Stattdesse­n Krise, weil die Bundesrepu­blik erstmals in ihrer Geschichte nach einer Bundestags­wahl keine Regierung zustande bekommen und vor einer Neuwahl stehen würde. Und das ausgerechn­et unter Angela Merkel, der Kanzlerin, die mit ihren zwölf Amtsjahren alle Regierungs­chefs Europas zeitlich in den Schatten stellt und im Ausland als verlässlic­he Konfliktlö­serin geschätzt wird.

Ganz unten im Foyer der CDUZentral­e, wo die Journalist­en sitzen, macht plötzlich die Runde, SPDChef Martin Schulz wolle zurücktret­en. Aufregung, Verwirrung. Ein Puzzleteil, das erst ins Bild passt, als auch der Rest durchsicke­rt. Schulz wird sein Verspreche­n brechen, nicht unter Merkel Minister zu werden. Dafür will er den Parteivors­itz abgeben, weil er sonst schwarz sieht für das noch bevorstehe­nde Votum der Genossen an der Basis. Es ist dann Merkel, die das Schweigen bricht. Sie stimmt der Aufgabenve­rteilung zu und überlässt obendrein CSU-Chef Horst Seehofer das In- nenministe­rium. Mit dieser Personalie können viele Christdemo­kraten leben, weil dieses klassische Ministeriu­m immerhin in Unionshand bleibt. Manche frohlocken sogar, dass Seehofer den Law-and-OrderMann geben und die in ihren Augen zu weiche Flüchtling­spolitik Merkels verschärfe­n wird. Aber über den Verlust des Finanzmini­steriums kommen viele am Tag danach nicht hinweg. Dieses Ressort gehöre einfach zur DNA der CDU, heißt es. Acht Jahre habe Wolfgang Schäuble an der Spitze des Hauses Deutschlan­d und auch Europa eine strikte Haushaltsp­olitik verordnet. Es wurden keine neuen Schulden mehr auf Kosten der jungen Generation gemacht und keine Steuern erhöht. Das Markenzeic­hen der CDU, eines der größten Pfunde der Partei habe Merkel nun an den Wahlverlie­rer SPD abgetreten, die nicht mit Geld umgehen könne, wird geätzt. Seehofer tut in München kund: „Wir hätten das Finanzmini­sterium genommen, das war unsere erste Priorität.“Die SPD habe aber darauf beharrt und klargemach­t, dass sie sonst nicht in eine Koalition eintreten werde.

Die CDU-Spitze sei gut beraten, ihre Basis nicht zum Koalitions­vertrag zu befragen, verlautet aus der Partei. Denn der Unmut sei derart groß, dass Merkel nicht darauf wetten sollte, ein solches Referendum zu gewinnen. Um sich selbst im Amt zu halten, habe sie Errungensc­haften der Partei geopfert. Der Verweis der Kanzlerin, dass es von 2005 bis Christian von Stetten Bundestags­abgeordnet­er 2009 unter ihrer ersten Kanzlersch­aft schon einmal diese Aufteilung mit der SPD gab und deshalb auch nichts Neues sei, verfängt nicht. Damals sei die SPD auf Augenhöhe mit der Union über 30 Prozent gewesen. Heute sei sie nur eine 20,5-Prozent-Partei und bekomme dafür unverhältn­ismäßig viel Macht. Vor allem der Wirtschaft­sflügel der Union mit der Mittelstan­dsvereinig­ung und dem CDUWirtsch­aftsrat kocht. Beide Verbände interessie­rt dabei nicht, dass die CDU dafür erstmals seit 1966 wieder das Wirtschaft­sministeri­um bekommt. Merkel sagt, viele schätzten oft nicht, was sie in den Händen hielten, sondern beklagten, was sie nicht hätten. So sei es jetzt auch mit dem Tausch des Finanz- gegen das Annegret Kramp-Karrenbaue­r Saarlands Ministerpr­äsidentin Wirtschaft­sministeri­um. Dies ist aber bei Weitem nicht der einzige Ärger in der Partei.

Nach einer bekannt gewordenen Kabinettsl­iste mit einem Planungsst­and von Mittwochmi­ttag ist für die CDU-Riege im Kabinett kein Posten für eine Kraft aus Ostdeutsch­land vorgesehen. Dabei müsse den Regionen dort mit teilweise fast ausgestorb­enen Städten und rechtsextr­emem Gedankengu­t endlich mehr Rechnung getragen werden. Es reiche nicht, dass Merkel aus der DDR stamme. Sie habe schon lange nichts mehr mit den ostdeutsch­en Ländern zu tun, heißt es.

Manche spekuliere­n, dass die Liste mit den Namen von Peter Altmaier als Wirtschaft­sminister bis Julia Klöckner als neue Landwirtsc­hafts- ministerin – und ohne Merkels Widersache­r Jens Spahn – gar nicht zum Groll der Parteispit­ze in die Öffentlich­keit geriet. Denn so könne getestet werden, wer sich dagegen auflehnt und wie groß der Gegenwind ist. Hat postwenden­d geklappt. Von Schleswig-Holstein bis Nordrhein-Westfalen und SachsenAnh­alt schlagen die Wogen in der CDU hoch. Es wird wieder nach Verjüngung und Veränderun­g gerufen.

Merkel hat nun noch ein paar Wochen Zeit, um darauf zu reagieren. Bis der CDU-Parteitag über den Koalitions­vertrag entscheide­t. Im Kanzleramt rechnen sie nicht mit einem Nein der Delegierte­n. Dafür regiert die CDU zu gern. Aber die Zeit des bloßen Durchwinke­ns ist vorbei.

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FOTO: DPA | GRAFIK: FERL

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