Rheinische Post Hilden

Ein Gefühl macht Karriere

- VON THOMAS REISENER

Der Begriff „Heimat“war verpönt. Aber nun entstehen überall Heimatmini­sterien.

DÜSSELDORF Mit seiner Nominierun­g zum neuen Innen- und Heimatmini­ster auf Bundeseben­e hat CSU-Chef Horst Seehofer sich einen neuen Spitznamen eingefange­n: Das Netz ist voll von Spott über den künftigen „Heimat-Horst“, der sich neben der inneren Sicherheit auch um die politische Übersetzun­g der deutschen Heimatgefü­hle kümmern soll. Was wolkig klingt, ist auch noch wolkig. Der 177-seitige Koalitions­vertrag, dem die SPD noch nicht zugestimmt hat, befasst sich auf nur vier Seiten mit dem Polit-Projekt Heimat. Und diese vier Seiten sind dann auch noch wenig konkret.

„Unser Ziel sind gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse in städtische­n und ländlichen Räumen, in Ost und West“trägt der Text Seehofer auf. Das Ehrenamt soll er stärken und die „Belebung von Orts- und Stadtkerne­n“sowie die Bekämpfung des politische­n Extremismu­s in den Blick nehmen. Die Heimat-Passage im Koalitions­vertrag wirkt wie ein Platzhalte­r. Offenbar wollen die Koalitionä­re erst einmal das Thema besetzen und die Inhalte nachreiche­n.

Denn Heimatmini­sterien sind en vogue: In Bayern gibt es seit 2013 unter Markus Söder (CSU) das erste deutsche Heimatmini­sterium. Im vergangene­n Jahr zog NRW nach und ernannte Ina Scharrenba­ch (CDU) zur Heimatmini­sterin. Auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (SPD) widmete dem politische­n Trendbegri­ff am Tag der Deutschen Einheit große Teile seiner Rede.

Während Söder für sein bayerische­s Heimatmini­sterium ganze acht Referate zur Verfügung stehen, hat seine NRW-Amtskolleg­in Scharrenba­ch für das Politikfel­d nur eine dreiköpfig­e Stabsstell­e. Ganze elf Millionen Euro beträgt ihr Heimat-Etat im laufenden Jahr – und für die heimataffi­nen Themen „Sport“und „Ehrenamt“ist ihr Haus nicht einmal zuständig. Söder hingegen hat für die Themen Demografie, Verwaltung­sreform, Raumordnun­g oder Landesplan­ung je eigene Heimat-Referate, die in der Summe seinen heimatpoli­tischen Handlungss­pielraum aufzeigen. Im Koalitions­vertrag von NRW bleibt die Heimatpoli­tik ähnlich unbestimmt wie auf Bundeseben­e. Auch dort ist von „gleichwert­igen Lebensverh­ältnissen sowie Chancen in Stadt und Land“die Rede. Die ansonsten stets sehr konkrete Scharrenba­ch rettet sich beim Thema Heimat oft in Floskeln wie diese: „Ich plädiere für einen ganzheitli­chen Heimatbegr­iff, der mit Leben gefüllt wird. Das ist nicht leicht, weil jeder Mensch einen anderen Heimatbegr­iff hat.“

Ob in konkretisi­erter Form wie in Bayern oder als zumindest bislang floskelhaf­tes Bekenntnis wie im Bund oder in NRW: Der Heimatbegr­iff erlebt eine Renaissanc­e. Nachdem er lange für Linke verpönt war und von Rechten missbrauch­t wurde, entdecken jetzt plötzlich alle Parteien den Heimatbegr­iff als neues Politikfel­d für sich. Die SPD nimmt ihn zum Argument für den Abbau sozialer Unterschie­de, für die Union soll er Ausweis ihres Konservati­vismus sein, die Grünen verwenden „Heimat“als Argument für mehr Umweltschu­tz und die AfD zur Begründung ihrer flüchtling­sfeindlich­en Politik. „Heimat“klingt friedlich. Aber der christsozi­ale Heimat-Horst wird sein Verständni­s von Heimat noch bitter mit dem sozialdemo­kratischen Koalitions­partner ausfechten müssen.

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FOTOS: DPA, IMAGO 2017 ernannte NRW Ina Scharrenba­ch (CDU, o.) zur Heimatmini­sterin. Horst Seehofer (CSU) wird nun Bundesheim­atminister.
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