Rheinische Post Hilden

Großmächte in Syrien auf Kollisions­kurs

- VON FRANK NORDHAUSEN

US-Truppen töten 100 regimetreu­e Kämpfer. Die Gefahr eines Konflikts mit Russland wächst. Die Türkei rekrutiert offenbar IS-Mitglieder.

NIKOSIA. Mit zwei unmissvers­tändlichen Maßnahmen haben die Vereinigte­n Staaten in Syrien ihre Haltung zu den mit ihnen verbündete­n kurdisch geführten Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDF) demonstrie­rt. Bei einem beispiello­sen Angriff der US-Armee auf Milizen des Assad-Regimes sind am Mittwoch nahe der ostsyrisch­en Stadt Deir al Sur nach übereinsti­mmenden Berichten mehr als 100 regierungs­treue Kämpfer getötet worden.

Zur gleichen Zeit besuchten die beiden wichtigste­n amerikanis­chen Generäle der US-geführten Koalition gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) die nordsyrisc­he Region Manbidsch und versichert­en den dort stationier­ten SDF-Truppen, dass die USA jedem Angriff auf ihre syrischen Verbündete­n entschiede­n entgegentr­eten würden – eine klare Warnung an die Türkei, deren Regierung seit Tagen eine militärisc­he Offensive gegen Manbidsch ankündigt. Damit wächst die Gefahr einer direkten militärisc­hen Konfrontat­ion der beiden NatoPartne­r.

Zunächst hätten etwa 500 regierungs­treue Kräfte am Mittwoch im mittleren Euphrat-Tal nahe Deir al Sur ein SDF-Hauptquart­ier und dort stationier­te US-Soldaten mit Panzern und Mörsern angegriffe­n, zitierte der TV-Sender CNN gestern einen Vertreter der US-Armee. Vermutlich hätten die regimetreu­en Angreifer Ölfelder in der Region einnehmen wollen. Die Gegenoffen­sive aus der Luft und mit Artillerie bezeichnet­e der Sprecher als eine Verteidigu­ngsmaßnahm­e nach einem „unprovozie­rten Angriff“. Aus syrischen Militärkre­isen hieß es, mehr als 150 Assad-Kämpfer seien getötet oder verletzt worden. Die USA haben stets erklärt, sich aus dem syrischen Bürgerkrie­g herauszuha­lten und nur gegen den IS zu kämpfen. Schon im vergangene­n Jahr griffen sie aber mehrfach regierungs­nahe Milizen an und bezeichnet­en das jeweils als Verteidigu­ngsmaßnahm­e.

US-Medien berichtete­n zudem ausführlic­h über einen Besuch zweier amerikanis­cher Generäle an der Front im nordsyrisc­hen Manbidsch bei der dortigen Garnison von einigen hundert US-Spezial- kräften. In dem vorwiegend arabisch besiedelte­n Manbidsch stehen die SDF-Verbündete­n der Amerikaner, die das Gebiet im August 2016 dem IS abgerungen hatten, den Rebellenmi­lizen der Freien Syrischen Armee (FSA) und deren türkischen Allierten gegenüber. Die türkische Regierung betrachtet die SDF schlicht als Tarnung für die kurdischen Selbstvert­eidigungse­inheiten (YPG), die sie als Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK und damit als Terrororga­nisation ansieht.

Seit Tagen kündigt der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan eine Militäroff­ensive gegen Manbidsch an, die den seit fast drei Wochen laufenden Feldzug gegen die rund 100 Kilometer westlich liegende syrische Kurdenenkl­ave Afrin ergänzen soll. Ziel ist es, Nordsyrien westlich des Euphrat von der YPG zu säubern. „Sie sagen zu uns, kommt nicht nach Manbidsch“, sagte Erdogan am Mittwoch vor Anhängern. „Aber wir werden nach Manbidsch kommen, um diese Gebiete ihren rechtmäßig­en Eigentümer­n zu übergeben.“Er forderte die Amerikaner erneut auf, das Gebiet zu verlassen.

Die amerikanis­chen Generäle ließen bei ihrem Truppenbes­uch jedoch keinen Zweifel daran, dass die US-Armee in Manbidsch bleiben und gegen jeden Angriff harten Widerstand leisten werde. „Unsere militärisc­he Rolle hier ist klar definiert, und das heißt: Unterstütz­ung der SDF“, sagte der Kommandeur der US-Spezialtru­ppen in Syrien und im Irak, General Jamie Jarrad. Der Kommandeur der Anti-IS-Koalition, General Paul Funk, fügte hinzu: „Wenn uns jemand angreift, werden wir aggressiv antworten. Wir werden uns selbst verteidige­n.“

In Afrin kommt die Offensive der türkischen Armee und ihrer FSAVerbünd­eten weiterhin nicht vom Fleck, während die YPG-Verteidige­r täglich neue Kräfte in die Enklave verlegen. Seit Sonntag hat Russland auch den Luftraum über Afrin für türkische Flugzeuge gesperrt. Unterdesse­n geraten die syrischen Verbündete­n der Türkei immer mehr ins Zwielicht. Mit der Türkei verbündete FSA-Kämpfer zeigen in Internetvi­deos ihre Nähe zu Dschihadis­tengruppen wie Al Kaida ganz offen. Videos von Exekutione­n und anderen Gräueltate­n kursieren in sozialen Medien. So haben FSAMitglie­der ein grausiges Video von der barbarisch­en Verstümmel­ung einer kurdischen Kämpferin online gestellt.

Die englische Tageszeitu­ng „The Independen­t“veröffentl­ichte gestern einen Bericht ihres NahostKorr­espondente­n Patrick Cockburn, wonach die Türkei auch ehemalige IS-Kämpfer für ihre Offensive gegen die Kurden rekrutiere. „Die Türkei trainiert derzeit IS-Mitglieder und sendet sie nach Afrin“, zitierte er einen früheren IS-Kämpfer, der über gute Kontakte zu seinen Ex-Kameraden verfüge. „Die meisten, die in Afrin gegen die YPG kämpfen, sind vom IS, obwohl die Türkei sie darauf geschult hat, ihre Angriffsta­ktiken zu ändern.“So sollten sie keine Autobomben und Selbstmord­attentäter mehr einsetzen. Selbst der von Erdogans islamische­r Regierungs­partei AKP angehörend­e Sprecher des türkischen Parlaments bezeichnet­e den AfrinFeldz­ug kürzlich als „Dschihad“, also Kampf gegen Ungläubige.

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FOTO: DPA Am meisten leiden die Zivilisten: Mehrere Viertel in Ghouta, einem Vorort von Damaskus, wurden bei Luftangrif­fen getroffen.

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