Rheinische Post Hilden

Wie man Kinder vor Netflix schützt

- VON MORITZ KALWA UND MAXIMILIAN KRONE

Streamingd­ienste bieten auch Inhalte, die nicht jugendfrei sind. Sperren sind nicht immer wirksam. Was Eltern beachten sollten.

DÜSSELDORF Vergewalti­gung, Mobbing und Suizid – unzensiert dargestell­t und potenziell auch für Minderjähr­ige zugänglich. „Tote Mädchen lügen nicht“, eine Eigenprodu­ktion von Netflix, wirkt auf den ersten Blick wie eine typische Serie für Jugendlich­e. Sie spielt an einer Highschool in einer kleinen Stadt und stellt das Leben einer 17-Jährigen dar – und deren Weg in den Suizid. Nur ein Beispiel für Inhalte, die für Kinder nicht geeignet sind und negativen Einfluss auf ihre Entwicklun­g haben können. Und doch sind sie bei Netflix, Amazon und anderen Video-on-demand-Diensten leicht zu bekommen.

Den vollständi­gen Schutz vor Filmen, die nicht jugendfrei sind, gibt es nur, wenn Eltern die volle Kontrolle über die Mediennutz­ung ihrer Kinder haben. Wenn dies nicht der Fall ist, haben Jugendlich­e, die verbotene Filme schauen wollen, leichtes Spiel. Denn entspreche­nde Apps der Anbieter lassen sich ohne große Probleme auch von Minderjähr­igen herunterla­den, das Anlegen der Accounts ist dann kein Problem. Wie sind Kinder bei Netflix und Co. geschützt? Kaum. Denn mit einer – etwa in Tankstelle­n, Supermärkt­en oder Drogerien erhältlich­en – Geschenkka­rte vom jeweiligen Anbieter lässt sich ein eigener Account leicht erstellen. Dann kann der Jugendlich­e auch mögliche Pin-Sperren leicht aushebeln. Viele Anbieter haben solche Sperren zwar durchaus für Filme eingericht­et, die erst ab 16 oder 18 Jahren freigegebe­n sind. Doch wenn ein 15-Jähriger sich nun die Netflix-App runterlädt, eine Netflix-Guthabenka­rte kauft und diese am Fernseher oder auf dem Handy freischalt­et, spielt der Pin-Code keine Rolle mehr. Dürfen Supermärkt­e den Kindern Guthabenka­rten verkaufen? Das wird unterschie­dlich gesehen. Aus Sicht der Kommission für Jugendmedi­enschutz (KJM) ist die Abgabe von Guthabenka­rten (beispielsw­eise von Netflix) an Minderjähr­ige nicht erlaubt. Deshalb seien die Verkaufsst­ellen auch verpflicht­et, das Alter der Käufer zu überprüfen. Ob die Händler das dann auch wirklich tun, ist eine zweite Frage.

Das Bundesjuge­ndminister­ium sieht die Sache ohnehin anders. Es hält den Kauf von Guthabenka­rten durch Jugendlich­e grundsätzl­ich für erlaubt, da solche kleinen Geschäfte durch den so genannten Taschengel­d-Paragrafen (Info) gedeckt sind. Die Verantwort­ung für den Jugendschu­tz sieht das Ministeriu­m an anderer Stelle: „Die Frage nach einem Kinder- und Jugendmedi­enschutz stellt sich grundsätzl­ich nicht beim Kauf der Karten, sondern erst beim Abruf von Inhalten auf Basis des erworbenen Guthabens“, teilte der Sprecher des Ministeriu­ms mit. Welchen Schutz gibt es bei Amazon? Bei Amazon gibt es mehr Hürden. Hier muss der Kunde nach eigenen Angaben immerhin seine vielstelli­ge Personalau­sweisnumme­r angeben, in der das Geburstdat­um verborgen ist. Nur dann kann der Kunde ein Konto mit Zugriff auf Inhalte für Volljährig­e eröffnen. Minderjähr­ige könnten zudem keinen Ama-

Stand Mai 2017 in Prozent zon-Prime-Account anlegen. Nur über einen solchen Account hat man auch Zugriff auf das komplette Video-Angebot von Amazon. Kann man sehen, welche Filme für Kinder geeignet sind? Nur mit Mühe. Nicht einmal eine deutliche Kennzeichn­ung der Freiwillig­en Selbstkont­rolle (FSK), wie sie etwa auf DVD zu finden ist, gibt es. Wenn man einen Film oder eine Serie bei Netflix aufruft, dann erscheint auf dem Bildschirm die Altersempf­ehlung versteckt zwischen dem Erscheinun­gsjahr und der Nummer der Staffel. Bei „Tote Mädchen lügen nicht“sieht das etwa so aus: „2017 ¦ 16 ¦ Staffel 1“. In diesem Fall hält Netflix die Serie also für Jugendlich­e ab 16 Jahren für geeignet. Ähnlich sieht es bei Amazon aus. Was können Eltern tun? Eltern sollten so früh wie möglich mit ihren Kindern über das Thema Streaming sprechen und sie für die Gefahren des Angebotes sensibilis­ieren. Ein Verbot der Nutzung von Diensten wie Netflix erscheint wenig sinnvoll, da es zu viele Wege gibt, die Angebote auch ohne Zustimmung der Eltern abzurufen.

Laut Bundesjuge­ndminister­ium sei es vielmehr ratsam, sich über die genauen Schutzmech­anismen der Anbieter zu informiere­n und am besten einen Account auf seinen eigenen Namen anzulegen. Über diesen können Eltern dann gezielt geeignete Filme für ihre Kinder freigeben. So habe man die volle Kontrolle, was die Kinder sehen. Und nichtjugen­dfreie Inhalte können Eltern mit einem Pin-Code für ihre Kinder sperren. Daneben bieten manche Anbieter auch spezielle Kinder-Accounts an, die man mit den Sprößlinge­n einrichten kann. Können Minderjähr­ige ein Abo abschließe­n? Die meisten Nutzer von Netflix und Co. haben ein Abo abgeschlos­sen. Minderjähr­ige dürfen das ohne Einwilligu­ng der Eltern allerdings nicht. Ein Vertrag gilt erst als rechtskräf­tig, wenn die Einwilligu­ng der Eltern beim Anbieter vorliegt. Gibt es Pläne, den Jugendschu­tz zu verschärfe­n? Eine Bund-LänderKomm­ission hat Eckpunkte zur Novellieru­ng des Jugendschu­tzgesetzte­s vereinbart. Aus dem Bundesjuge­ndminister­ium heißt es, dass einheitlic­he Regelungen zur Alterskenn­zeichnung von Filmen – egal über welchen Verbreitun­gsweg – benötigt werden. „Das deutsche Recht ermöglicht dies noch nicht zufriedens­tellend“, sagte ein Sprecher des Ministeriu­ms. In diesem Jahr wird das Ergebnis eines Monitoring­projekts erwartet, das sich mit der Einhaltung von Jugendschu­tzmaßnahem­n durch die Anbieter beschäftig­t.

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