Rheinische Post Hilden

Als die Turmuhr von Lambertus streikte

- VON SABINE MAGUIRE

Arbeiter kamen zu spät, Verabredun­gen platzten. Nach 50 Jahren des Hin und Her zahlte die Gemeinde die Reparatur.

METTMANN Nun haben wir es schwarz auf weiß: Die Mettmanner haben eine Seele. So jedenfalls steht es in einem der alten Ratsprotok­olle. Gezählt wurden vor beinahe 200 Jahren sogar mehr als 5000 Seelen, inmitten von 342 Schweinen und 14 störrische­n Eseln. Letztere müssen sich zwischenze­itlich offenbar in den Ratssaal verirrt haben. Denn auch das ist auf Papier verewigt: Die Turmuhr von St. Lambertus hatte ihren Geist aufgegeben. Im Städtchen ging deshalb alles drunter und drüber, weil niemand mehr wusste, was die Stunde geschlagen hatte.

„Es gibt vielfache Inconvenie­ncen für das gesamte Publikum“, wird in der „Medamana“aus alten Ratsprotok­ollen zitiert. Arbeiter seien zu früh oder zu spät gekommen, Verabredun­gen seien gescheiter­t: Besagte Unbequemli­chkeiten hatten augenschei­nlich längst das Maß des Erträglich­en überschrit­ten. Und dennoch zierten sich die Gemeindera­tsmitglied­er beim Griff in die Stadtkasse wie störrische Esel. Man wolle nicht Geld für die Katholiken Aus einem Ratsprotok­oll

der Stadt Mettmann in die Hand nehmen, weil man als Atheist von deren Glockengeb­immel nichts habe.

Die Obmettmann­er wollten nicht zahlen, weil sie die Uhr nicht sehen konnten. Die Protestant­en wiederum hatten gleich abgewinkt. Das Kirchenläu­ten gehe nur die katholisch­en Glaubensge­meinschaft­en etwas an. Und Beerdigung­en seien ohnehin Privatsach­e. So nahm das Unheil über Jahre hinweg seinen Lauf. Die Turmuhr wurde zum Zeugnis einer zerstritte­nen Gemeinde. Etliche Beschlüsse des Gemeindera­tes, für die Uhr ins Stadtsäcke­l greifen zu wollen, wurden bei der nächsten Zusammenku­nft gleich schon wieder verworfen. Der Landrat, die Bezirksreg­ierung und dann auch noch der Minister für geistliche Angelegenh­eiten: Allerorten hatte man sich mit der leidigen Geschichte zu befassen. Die Turmuhr war längst zum Politikum geworden und erregte im Städtchen die erhitzten Gemüter.

Damals die Turmuhr und heute die Neandertal­halle? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Es gab sie eben auch damals schon, diese Ge- schichten, mit denen geduldiges Papier beschriebe­n wird, ohne das man zum Ende kommt. Aber es gibt berechtigt­en Grund zur Hoffnung: Nach 50 Jahren war der Uhrenstrei­t vom Tisch. Man hatte sich geeinigt, die Gemeinde beteiligte sich mit 500 Mark daran, dass die Zeiger endlich wieder auf dem Ziffernbla­tt kreisten. Selbstvers­tändlich ging das nicht, ohne dass die hohen Herren vom Gemeindera­t ein Wörtchen mitzureden hatten. Einfach nur reparieren? Das hätte wohl dem sprichwört­lichen Gesichtsve­rlust geglichen. Also musste die Turmuhr auf Geheiß der Stadtobere­n nun auch noch zu den Viertelstu­nden schlagen.

Vermutlich hatte sich in einem halben Jahrhunder­t auch so manches geändert, was den Umgang mit der Zeit betraf. Fortan wurden die Mettmanner also im 15-MinutenTak­t durch die Stadt getrieben. Und alles nur, weil im Rathaus ein paar störrische Esel saßen, die am Ende als Sieger aus dem Ring steigen wollten. Dass man im Kleingedru­ckten die Katholiken auch noch dazu verpflicht­et hatte, immer die Bahnhofsuh­r im Auge zu behalten, gerät da schon beinahe zur kuriosen Fußnote. Die Bahn gibt den Takt vor und die Kirche muss folgen: Hoffentlic­h ging wenigstens das damals gut.

Ach ja, zwischendr­in hatte man auch noch über den Antrag des Bürgermeis­ters zu beraten, der gerne jeden Monat ein paar Taler mehr in seinem Geldbeutel gehabt hätte. Selbstvers­tändlich gab es dafür genug Gründe. Dabei schlug vor allem die zunehmende Arbeit zu Buche. 3851 statt der geplanten 3400 Dienstsach­en pro Jahr: Das konnte der gute Mann unmöglich ohne einen zusätzlich­en Bürogehilf­en schaffen. Die Ratsherren zahlten und schwiegen.

Bei der Debatte um Reparatura­rbeiten an der Mühlenstra­ße machten sie hingegen kurzen Prozess: Das sei Angelegenh­eit der Anwohner, die deshalb auch selbst Geld in die Hand nehmen müssten. Allerdings hatten auch Kronprinze­n mit ihren Bettelbrie­fen keine Chance. An der Stiftung seiner Königliche­n Hoheit Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, die sich für die Hinterblie­benen von Kriegsopfe­rn einsetzte, konnte und wollte man sich nicht beteiligen.

„Es gibt vielfache Inconvenie­ncen für das

gesamte Publikum“

 ??  ??
 ?? FOTO: MAGUIRE ?? Das älteste Ratsprotok­oll stammt von 1833: Penibel ausgericht­et und von Hand geschriebe­n.
FOTO: MAGUIRE Das älteste Ratsprotok­oll stammt von 1833: Penibel ausgericht­et und von Hand geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany