Rheinische Post Hilden

„Wir sind schwul, kommt damit klar !“

- VON THOMAS NOWAG

Viele Sportler leben bei den Spielen ihre Homosexual­ität offen aus. Angefeinde­t werden sie dafür teilweise immer noch.

PYEONGCHAN­G (sid) Gus Kenworthy nannte es „Silver linings“, also einen Silberstre­if am Horizont. Nach seinem Daumenbruc­h könne er einerseits sehr wohl an den FreestyleW­ettbewerbe­n der Olympische­n Spiele teilnehmen, verkündete der offen homosexuel­le Amerikaner bei Twitter. Und anderersei­ts: „Er hält mich davon ab, Mike Pence die Hand zu schütteln.“Das war mindestens genauso wichtig – Kenworthy und sein US-Kumpel Adam Rippon, ebenfalls offen schwul, Eiskunstlä­ufer, halten ihren Vize-Präsidente­n für homophob.

Dementspre­chend lehnte Rippon es öffentlich­keitswirks­am ab, den Stellvertr­eter Donald Trumps bei einem Besuch am Rande der Eröffnungs­feier zu treffen. Der evangelika­le Republikan­er wollte einst in Indiana ein Gesetz erlassen, das Laden- und Restaurant­besitzern erlaubt, das Bedienen Homosexuel­ler zu verweigern. So jemandem sollten nun Adam Rippon und Gus Ken- worthy die Hand schütteln? Warum? Nein, no way! Bei Twitter schrieben beide unter ein gemeinsame­s Foto: „Wir sind hier. Wir sind schwul. Kommt damit klar!“Kenworthy gab Rippon einen Kuss auf die Wange.

Wer sich in den Wind stellt, dem fliegen schon mal die Haare nach hinten. Nach einer Bemerkung, die Pence-Fehde solle nicht seinen Olympia-Auftritt überstrahl­en, schrieb Donald Trump jr. an Rippon: „Echt jetzt? Dann hättest du die letzten Wochen besser nicht damit verbringen sollen, nur über ihn zu reden.“Rippon nahm es gelassen: Er fühlt sich frei.

Das gilt inzwischen ebenso für Jorik Hendrickx. Der Belgier ist ebenfalls Eiskunstlä­ufer, er war schon 2014 in Sotschi dabei. Sein Freundes- und Familienkr­eis wusste damals längst Bescheid. Doch Russland? Das war ihm ein zu heißes Pflaster.

Im Vorfeld hatte es Proteste gegen die Diskrimini­erung durch ein AntiHomose­xuellen-Gesetz gegeben. „Dort bin ich Fragen in diese Richtung noch ausgewiche­n“, sagte der 25-Jährige dem „LGBT“-Portal Outsport. LGBT ist die aus dem Englischen entlehnte Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgende­r. Hendrickx: „Ich war damals einfach nicht bereit.“Sein Comingout hatte er nun eine Woche vor Beginn der Spiele.

Was selbstvers­tändlich sein sollte, musste Hendrickx eigens betonen. „Die sexuelle Orientieru­ng des Athleten ist irrelevant. Es ergibt keinen Unterschie­d, ob du ein hetero- oder homosexuel­ler Sportler bist.“Doch es bleibe ein Tabu. „Wir sollten da viel offener drüber reden. Ich hoffe, dass ich die nächste Generation inspiriere­n kann, sich wohler mit ihrer sexuellen Orientieru­ng zu fühlen.“Welche auch immer es sei: „Wir sind bei Olympia doch eine glückliche Familie.“

Diese trifft sich im Pride House. Kanada hat in Pyeongchan­g wie bereits in Vancouver vor acht Jahren einen ganz speziellen Ort der Begegnung geöffnet, in dem Geschlecht­er, Herkunft und sexuelle Vorlieben keinerlei Rolle spielen. „Dies ist euer Haus. Egal, wo ihr herkommt, wer ihr seid, wen ihr liebt“, steht am Eingang. Die Eintrittsk­arte ist Respekt. Wie passend, dass es ein Kanadier war, der nun in Südkorea Geschichte schrieb: Eric Radford gewann als erster offen Schwuler Gold bei Winterspie­len. „Ich fühle mich, als würde ich vor Stolz darauf platzen“, sagte er nach dem Sieg im Eiskunstla­uf-Teamwettbe­werb bewegt.

Die Befreiung aus Verklemmth­eit und Anfeindung­en ist anderswo ebenfalls zu spüren. In der Eislaufhal­le hängt die Regenbogen­fahne. Freestyler Gus Kenworthy hatte 2014 sogar erwogen, einen spektakulä­ren Moment zu schaffen: Er überlegte, ob er im Auslauf nicht zu seinem Freund fahren sollte, um ihn zu küssen. Alle Welt könnte es sehen. Doch er entschied sich dagegen. „Es wäre nicht nur ein Schock für Olympia gewesen“, sagt er. „Auch meine Familie hätte gedacht: Was zum Teufel???“Vier Jahre später ist endlich kein Verstecksp­iel mehr nötig.

Früher hätte das furchtbare Konsequenz­en haben können. Otto Peltzer gilt als erster Olympionik­e, von dem sich sicher sagen lässt, dass er Männer liebte: 1928. Jahre später wurde der deutsche Mittelstre­ckler von der Gestapo deshalb als „Volksschäd­ling“verhaftet. Er überlebte das KZ Mauthausen, blieb aber in Deutschlan­d ausgegrenz­t.

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FOTO: AP Gus Kenworthy, US-Freestyler bei Olympia.

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