Rheinische Post Hilden

„Fethullah Gülen ist nicht unser Führer“

- VON PHILIPP JACOBS

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan betreibt eine beispiello­se Hetzjagd auf die Gülen-Bewegung. Ihr deutscher Ableger, die Stiftung Dialog und Bildung, gibt sich nun selbstkrit­isch und räumt fehlende Transparen­z ein.

DÜSSELDORF Es wirkte kurzzeitig so, als hätte sich die Lage etwas beruhigt. Als sei die Jagd auf die Anhänger der GülenBeweg­ung in der Türkei zumindest etwas abgeflacht. Vergangene Woche jedoch, an dem Tag als der „Welt“-Reporter Deniz Yücel endlich nach gut einem Jahr aus dem Gefängnis freikommt, diese Meldung: Ein Gericht verurteilt drei prominente türkische Journalist­en wegen angebliche­r Verbindung­en zur Gülen-Bewegung zu lebenslang­er Haft.

Die türkische Regierung macht die Bewegung des in den USA im Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschvers­uch im Juli 2016 verantwort­lich. Seitdem wurden in der Türkei mehr als 50.000 Menschen wegen angebliche­r Gülen-Verbindung­en inhaftiert. Rund 150.000 Staatsbedi­enstete wurden aus demselben Grund suspendier­t oder entlassen. Zahlreiche Gülen-nahe Medien und Vereine wurden geschlosse­n.

Auch hierzuland­e müssen Anhänger der Bewegung bis heute fürchten, von Erdogan-Getreuen denunziert zu werden. „Das Auswärtige Amt ist vorsichtig geworden. Es warnt nicht nur Türken vor Reisen in die Türkei, es warnt mittlerwei­le auch Deutsche, die für uns Dienstleis­tungen erbringen“, sagt Ercan Karakoyun. Er ist Vorsitzend­er der Stiftung Dialog und Bildung, dem deutschen Ableger der Gülen-Bewegung, die eigentlich „Hizmet“(„Dienst“) heißt. Die Stiftung betreibt Kindergärt­en, Nachhilfez­entren und Schulen. Die bekanntest­en sind das Gymnasium Dialog in Köln und das Wilhelmsta­dt Gymnasium in Berlin-Spandau.

Spätestens seit dem Putschvers­uch ist die Bewegung direkt ins Fadenkreuz des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan geraten. Beweise für eine Beteiligun­g der Gülen-Bewegung am Putschvers­uch konnte Ankara bisher nicht vorlegen, doch der Einfluss Erdogans ist groß.

Im Dezember 2016 wurde bekannt, dass Imame des türkischen Islamverba­nds Ditib im Auftrag der türkischen Religionsb­ehörde hierzuland­e in den Moscheen Gülen-Anhänger bespitzelt und die Namen der Betroffene­n Ankara gemeldet hatten. Die Imame legten in vorauseile­ndem Gehorsam teilweise ganze Akten über die mutmaßlich­en Staatsfein­de an. Der Generalbun­desanwalt nahm Ermittlung­en auf, die aber mittlerwei­le eingestell­t wurden. „Anhänger unserer Bewegung scheuen noch heute den Gang in türkische Moscheen“, sagt Karakoyun. „Wir organisier­en daher selbst an 60 bis 70 Orten in unseren Kulturzent­ren Freitagspr­edigten.“Aus Angst vor Erdogans Zorn hätten viele Mitglieder der Bewegung die Hizmet-Einrichtun­gen verlassen. Das hatte Auswirkung­en auf die Anmeldezah­len an den Schulen und Nachhilfez­entren. Die Klassen waren viel kleiner als ursprüngli­ch geplant. „Von 110 Nachhilfee­inrichtung­en sind nur noch rund 80 übrig geblieben“, sagt Karakoyun.

Der 37-Jährige in Schwerte geborene Stadtsozio­loge, Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung und früheres JusoMitgli­ed, ist selbst ein von Erdogan Verfolgter. In die Türkei reisen darf Karakoyun schon lange nicht mehr. Hier in Deutschlan­d steht er unter Polizeisch­utz. In einer staatsnahe­n türkischen Zeitung war im Sommer zu lesen, Karakoyun arbeite in Deutschlan­d für den Bundesnach­richtendie­nst und berate die Behörden dabei, welche Flüchtling­e ins Land gelassen würden und welche nicht. Das Kesseltrei­ben gegen die Bewegung ist systematis­ch geworden.

Aber die Tragödie hat auch etwas Gutes. Das gibt der Stiftungsv­orsitzende selbst zu. Sie habe der Hizmet-Bewegung geholfen, einen Reifeproze­ss anzustoßen. Ein wichtiger Schritt. Denn nach dem Entsetzen über die Spionagepr­aktiken der türkischen Regierung gegen Gülen und seine Anhänger machten sich auch die Fragen breit: Wer ist

Ercan Karakoyun diese Gülen-Bewegung eigentlich? Und ist es womöglich tatsächlic­h ihr Plan – wie Erdogan propagiert –, Staaten zu unterwande­rn, um ihre Mitglieder in wichtige Positionen zu hieven?

Die Bewegung sei sektenähnl­ich, heißt es häufig. Tatsächlic­h veranstalt­et die Stiftung Dialog und Bildung regelmäßig „Gesprächsk­reise“, die manchem wie Geheimnist­uerei anmuten könnten. Die Führungseb­ene trifft sich auch immer wieder in den USA mit Fethullah Gülen. In einem internen Papier des Landesamts für Verfassung­sschutz Baden-Württember­g aus dem Jahr 2014 heißt es, Äußerungen Gülens seien mit dem Prinzip der Gewaltente­ilung, der Religionsf­reiheit, der Freiheit von Wissenscha­ft und Lehre und der Gleichbere­chtigung von Mann und Frau mitunter nicht in Einklang zu bringen. Die Bewegung verfolge einen türkischen Nationalis­mus in seriösem Gewand mit islamistis­chen Komponente­n. Gülen selbst strebe einen Gottesstaa­t an. Zeugen und Aussteiger warfen der Bewegung damals gegenüber dem „Spiegel“vor, dass die Bildungsei­nrichtunge­n dazu genutzt würden, Kinder als neue Anhänger und Funktionär­e der Gemeinscha­ft zu rekrutiere­n. Also: Islamisier­ung durch Bildung?

„Fethullah Gülen ist nicht der Führer unserer Bewegung, wie viele denken“, sagt Karakoyun: „Es ist nicht so, dass wir bei Entscheidu­ngen sein Okay brauchen. Er ist mehr ein spirituell­er Mentor. In der alltäglich­en Arbeit spielt Fethullah Gülen für uns überhaupt keine Rolle.“Die Hizmet-Bewegung in Deutschlan­d sei in der Vergangenh­eit nicht transparen­t genug gewesen, räumt Karakoyun ein. „Das war ein Fehler. Wir müssen den Menschen intensiver vermitteln, wofür wir stehen: Für einen zivilen Islam, wir lehnen Gewalt und Extremismu­s ab und wir leisten einen wichtigen Beitrag für dieses Land, insbesonde­re im Bildungsbe­reich.“

Die Bewegung versucht, sich von ihrem Gründer zu emanzipier­en, ihn aber auch nicht zu vergraulen. Es ist ein selbstkrit­ischer Weg, den man anscheinen­d in Deutschlan­d bereit ist zu gehen.

„In der alltäglich­en Arbeit spielt Fethullah Gülen für uns überhaupt

keine Rolle“

Newspapers in German

Newspapers from Germany