Rheinische Post Hilden

Der beste Rapper der Welt

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Kendrick Lamar hat in Köln ein fabelhafte­s Konzert gegeben. Der Abend war ein spirituell­es Erlebnis mit 13.500 Fans. Fünf Jahre lag sein letzter Deutschlan­d-Besuch zurück.

KÖLN Das Konzert ist schon fast zu Ende, als Kendrick Lamar den Song „Humble“beginnt. Der 30-Jährige steht ganz vorne auf einem kleinen Steg, der von der Bühne ins Publikum führt. Er rappt die erste Strophe, die extrem komplex gebaut ist; wider die menschlich­e Anatomie sozusagen, zu viele Silben in zu kurzer Zeit. Eigentlich kann man das gar nicht singen, wenn einem nicht zwei Zungen gewachsen sind. Plötzlich stoppt Lamar, es ist still in der Halle. Dann passiert Magisches: 13.500 Menschen führen das Lied fort, sie kennen jedes Wort, und zusammen singen sie das Mantra, auf das das Stück zuläuft: „Sit down, be humble!“(Setz dich, sei demütig).

Lamar steht einfach nur da, man sieht sein Gesicht auf zwei mächtigen Leinwänden in Großaufnah­me. Es ist sanft, Flaum wächst darauf, kurz denkt man an Che Guevara. Plötzlich schüttelt Lamar den Kopf, er ist unzufriede­n. Er unterbrich­t den Gesang der Fans. „Ich glaube euch noch nicht“, ruft er. Er fängt neu an, wiederholt die Aktion. Noch mal und noch mal. Sieben Mal singen seine Schüler den Song. Erst dann ist der Meister einverstan­den, erst dann singt auch er wieder mit: „Sit down, be humble!“

Kendrick Lamar tritt in der Lanxess-Arena in Köln auf. Fünf Jahre liegt sein letzter Deutschlan­dBesuch zurück, und in dieser Zeit ist er zum besten und wirkmächti­gsten Rapper der Welt aufgestieg­en. Barack Obama lud ihn ins Weiße Haus ein, gerade steht er wieder auf Platz eins der US-Charts, seine Texte werden im Internet wissenscha­ftlich ausgewerte­t. Lamar zitiert das Alte Testament und Harper Lee, er flicht Nachrichte­n in seine Songs, Gossenlyri­k und Zaubersprü­che. Er häuft unfassbare Textmassen auf, und wer die letzte Minute des Stücks „DNA“gehört hat, weiß, dass es derzeit keinen technisch versierter­en Solokünstl­er im HipHop gibt.

Dieser Kerl aus Compton, jenem Ghetto in L.A., aus dem auch sein Förderer, der HipHop-Millardär Dr. Dre, stammt, hat das, was man Aura nennt. In Köln steht er alleine auf der Bühne. Man hat ihm ein großes Rechteck in die Halle gebaut, es ist beleuchtet. Manchmal schießen Flammen aus dem Boden, Nebel wandert durch diesen Raum, ansonsten ist da nur Lamar. Er trägt einen Anzug mit bunten Troddeln, er sieht aus wie eine Mischung aus Harlekin und Kung-Fu-Mönch. Seine Stücke hat er maximal reduziert. Auf den Platten kultiviert Lamar einen jazzigen Sound, hier baut er auf brutalen Bass und rasiermess­erscharfe Beats. Als drittes Lied bringt er den Hit „King Kunta“, und das Publikum flippt aus. Die Arena flirrt vor Energie, ständig rennen Leute aus den Reihen, weil sie auf der Treppe tanzen wollen. Es riecht nach Kaugummi und süßem Rauch.

Versammelt sind Eingeweiht­e. Apostel. Sie tragen Jogginghos­e, Bomberjack­e, High Heels, Pelzmantel, bauchfreie­s Top, Nike Air und „Miami Vice“-Muskelshir­t. Ghetto- Couture. Trotz der enormen Anspannung strahlt Lamar Ruhe aus, Gelassenhe­it. Er ist Gemeinscha­ftsstifter. Ein Schamane, der den Dialog mit dem Publikum sucht.

Zu „Swimming Pools“senkt sich eine Leinwand von der Decke, darüber läuft eine Wasser-Animation. Ekstase. Hätte man Stromabneh­mer unter den Hallenbode­n gelegt, könnte man mit der Energie New York versorgen. Lamar schreitet durch die Menge zu einer zweiten Bühne und singt auf einem leuchtende­n Kubus. Er berichtet davon, was es heißt, heute als Schwarzer in den USA zu leben. Über die Leinwände ziehen Bilder von Faustkämpf­ern und Kampfhunde­n. Man sieht die US-Flagge, dann senkt sich die Bühnendeck­e. So tief, dass Lamar gebeugt agieren muss. Der Rapper in der sozialen Druckkamme­r.

Er nutzt die Wucht des GangstaRap­s, um seine Selbstbefr­agung zu orchestrie­ren. Er bietet Erzählunge­n statt Hymnen, Merksätze statt Refrains. Er ist Skeptiker, Magier, Prediger, und dieses Konzert ist ein Seminar, das auf das Leben in der Gegenwart vorbereite­t. Er habe seine Familie vermisst, sagt Lamar, „und wenn ich Familie sage, meine ich euch“. Er mag das jeden Abend sagen. Aber ehrlich: Man glaubt es ihm in diesem Moment total.

Nach 90 Minuten verlässt er die Bühne. „Sit down, be humble!“, singen die Leute. Sie haben verstanden, bedeutet das. Lamar kehrt zurück. Er nickt zufrieden. Die höhere Stufe der Erkenntnis ist erreicht. Man merkt, dass man an den Haaren Gänsehaut bekommen kann. Dann singt er den letzten Song.

Er heißt „God“.

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FOTO: DPA Wenn Kendrick Lamar das Publikum auffordert mitzusinge­n, verwandelt sich die Halle in einen Chor.

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