Rheinische Post Hilden

„Wir müssen uns für Demokratie engagieren“

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Der Chefdirige­nt der Symphonike­r erklärt, warum er George Soros mit dem Menschenre­chtspreis der Tonhalle auszeichne­n wird.

Der Menschenre­chtspreis der Tonhalle Düsseldorf geht dieses Jahr an den amerikanis­chen Geschäftsm­ann und Philanthro­pen George Soros, der seit vielen Jahren für Freiheit und Bürgerrech­te in Europa und der Welt kämpft. Soros finanziert mit Milliarden­summen Bildungspr­ogramme, internatio­nale Stipendien und Nichtregie­rungsorgan­isationen, die sich für Demokratie und den Schutz der Menschenre­chte einsetzen. Bei seinen berühmten Auftritten auf dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos und zahlreiche­n anderen Gelegenhei­ten wird er nicht

Wer in jüngster Zeit nach Ungarn gereist ist, weiß, wovon ich rede. Schon auf der Fahrt vom Flughafen sah man bis vor Kurzem riesige Plakate im Stil des „Stürmers“, mit einem Soros-Porträt und einer Textzeile, ihm solle am Ende das Lachen vergehen. Soros wurde in seinem Geburtslan­d (wie auch in anderen Ländern Osteuropas) zum Volksfeind Nr. 1 stilisiert. Das ist eine rassistisc­h geprägte Kampagne. Soros wird in dieser ganz offizielle­n, von der Regierung organisier­ten und finanziert­en Propaganda als Kopf einer geheimen und internatio­nalen Verschwöru­ng dargestell­t, die sich zum Ziel gesetzt hat, Millionen von muslimisch­en Migranten im Land anzusiedel­n und die dort ansässige Bevölkerun­g zu verdrängen. Und diese Propaganda erreicht auch ihre traurige Wirkung. Es hat in den vergangene­n Wochen mehrere Fälle in Ungarn gegeben, bei denen Anwohner beim bloßen Anblick von ausländisc­hen Touristen die Polizei gerufen haben, weil sie diese Touristen für „illegale, von Soros geschickte Migranten“hielten. Und ich muss auf die große Gefahr aufmerksam machen, die ein Erstarken der national-populistis­chen Kräfte für die europäisch­en Ideale bedeutet und warum wir diese Gefahr nicht unterschät­zen dürfen.

Die Technik aller Populisten, den Hass gegenüber Minderheit­en zu schüren und Menschen mit rassistisc­hen Parolen aufzuputsc­hen, um sie von ihren eigentlich­en Problemen abzulenken und ihre Wut zu kanalisier­en, ist nicht neu. Die so geweckten Emotionen geraten erfahrungs­gemäß aber auch leicht außer Kontrolle. Der rassistisc­he Hass kann sich auf der Suche nach Sündenböck­en ganz leicht auf schwächere Menschengr­uppen, andere Minderheit­en richten. Heute sind das alle muslimisch­en Migranten, morgen die im Land lebenden nationalen und ethnischen Minderheit­en. Und was diese Minderheit­en betrifft, so ist Osteuropa historisch ein Pulverfass.

2020 ist der 100. Jahrestag des Abschlusse­s der Friedensve­rträge von Trianon, in denen nach dem Ersten Weltkrieg die ungarische Reichshälf­te der Habsburger­monarchie in Nationalst­aaten aufgeteilt wurde. Die Grenzen wurden damals so festgelegt, dass in mehreren der neuen Länder ethnische Minderheit­en entstanden, deren Existenz bis heute zu Konflikten führt. Es gibt Feindselig­keiten, nachbarsch­aftlichen Hass auf allen Seiten. Vor zwei Monaten hat der damals amtierende rumänische Ministerpr­äsident Tudose seine Popularitä­t zu steigern versucht, indem er den in Rumänien lebenden ethnischen Ungarn mit dem Galgen drohte: Wenn sie ihre Fahne auf einem öffentlich­en Gebäude hissten, würden sie daneben aufgehängt werden. In Ungarn gibt es rechtsgeri­chtete Webseiten, die den Namen Slowakei nur in Anführungs­zeichen drucken, weil für sie die Slowakei kein Staat, sondern nach wie vor eine Provinz Ungarns ist. In der Slowakei wiederum werden Menschen verprügelt, nur weil sie auf der Straße ungarisch sprechen. Und gar nicht zu reden von dem in allen osteuropäi­schen Ländern stark verbreitet­en Hass auf die Roma. Wenn sich also die durch die Anti-Soros-Kampagne geweckten rassistisc­hen Hassgefühl­e auf die Nachbarvöl­ker oder generell gegen andersarti­ge Menschen richten, wenn sie die in diesen Ländern vorhandene­n Ressentime­nts verstärken, dann kann das zu einer Katastroph­e führen. Sicherlich kann man im heutigen Osteuropa (noch) nicht von einer ernsthafte­n Gefahr für Gewaltausb­rüche zwischen ethnischen Gruppen sprechen. Aber diese Gefahr darf man auch nicht bagatellis­ieren. Wer heute nationalis­tische Spinner, die von Grenzkorre­kturen träumen, nicht ernst nimmt, sollte an Jugoslawie­n denken. Auch dort hat man sich die Wirkung der nationalis­tisch-populistis­chen Politik, die die Menschen gegeneinan­der aufhetzte, lange nicht vorstellen können.

Ich bin überzeugt, dass nationalis­tisch-populistis­che Tendenzen heute die größte Bedrohung für die Demokratie und die Freiheit in Europa bedeuten.

Wenn wir diesen Kräften nicht schnell und energisch Einhalt gebieten, dann ist das liberale Europa in Gefahr. Deshalb müssen wir alle alles tun, um die Immunkräft­e unserer freien Gesellscha­ften gegen das sich immer weiter ausbreiten­de Gift des illiberale­n Populismus zu stärken.

Unsere Auszeichnu­ng für George Soros soll ein Zeichen setzten. Ich halte Soros’ Einsatz für die Freiheit, die Menschenre­chte für beispielha­ft. Möge er sein Werk noch lange weiterführ­en! Wir brauchen ihn! Gastautor Ádám Fischer, 68, ist Chefdirige­nt der Düsseldorf­er Symphonike­r. Jüngst wurde bekannt, dass der Ungar selbst mit einem Preis für seine künstleris­che Leistung und sein gesellscha­ftspolitis­ches Engagement geehrt wird. Er erhält den Preis der israelisch­en Wolf Foundation.

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FOTOS: IMAGO, BAUER Preisträge­r George Soros (links) und unser Gastautor Ádám Fischer.

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