Rheinische Post Hilden

Mit Meral Alma im Großstadtd­schungel

- VON BERTRAM MÜLLER

Die junge Künstlerin hat eben erst ihr Studium an der Düsseldorf­er Akademie abgeschlos­sen. Doch Sammlern ist sie längst bekannt.

DÜSSELDORF Wenn Meral Alma malt, gibt sie alles. Sie turnt auf Gerüsten, um drei Meter hohe Leinwände zu füllen, bringt Farbe mit bloßen Händen auf die Leinwand und verlässt ihr Atelier oft erst um vier in der Früh. Die junge Künstlerin, die soeben ihr Studium bei Siegfried Anzinger an der Düsseldorf­er Akademie mit dem Abschlussb­rief gekrönt hat, schont sich nicht, aber es macht ihr auch nichts aus, Tag für Tag und Nacht für Nacht bis zur Er-

In der Kunst gehe es darum, gerade nicht gefallen zu wollen,

sagt sie

schöpfung zu arbeiten. Schließlic­h drängen die Bilder, die ihr durch den Kopf schweben, auf die Leinwand. Und die Sammler warten schon, ihre Namen füllen Listen.

Eigentlich geht Meral Alma das alles viel zu schnell, eigentlich mag sie sich von vielen ihrer Bilder, die ihr kleines Atelier neben der Akademie füllen, noch nicht trennen, eigentlich braucht sie erst mal Urlaub.

Über die Preise, die sie mit ihrer wilden, zugleich höchst disziplini­erten Malerei erzielt, mag sie vorerst nichts in der Zeitung lesen. Doch so viel sei verraten: Sie sind erstaunlic­h. Wenn man allerdings den Aufwand bedenkt, der etwa in einer mit kleinen Einzelszen­en gefüllten, sechs Meter breiten Leinwand steckt, ist der Stundenloh­n vielleicht gar nicht so bemerkensw­ert.

Meral Alma hat in einer ihrer jüngsten, mit vier mal dreieinhal­b Metern zugleich größten Arbeiten und deren fünf Meter breitem Zwillingsb­ild zusammenge­fasst, was man zum Teil schon aus ihren früheren Malereien kennt: gesichtslo­se, schemenhaf­te Figuren, Punks, Könige und eine schwebende Ballerina. Farbig geht es zu in diesen Panoramen, und noch das kleinste der Bildkästch­en, aus denen die Kompositio­nen bestehen, strotzt vor Energie. Liebespaar­e und Musiker bevölkern die Leinwand, Schwarze und Weiße, und wie in einer Collage ragt manches Motiv ins Nachbarkäs­tchen, weil ausgestrec­kte Arme nun einmal Platz erfordern.

Über die Entstehung des ersten der beiden Bilder von 2018, „Zirkus des Lebens – 1. Akt“, erzählt die Künstlerin: „Ich malte wie eine Wahnsinnig­e, ging nur noch zum Schlafen nach Hause. Manchmal stand ich nach zwei Stunden wieder auf, um im Atelier weiter zu arbeiten.“Rings um die Akademie hat man nachts gute Freunde. Da ruft schon mal der Pförtner wohlmeinen­d „Geh nach Hause!“herüber, wenn der Uhrzeiger wieder die Vier oder schon die Sechs anstrebt, und Nachbarn bringen Essen vorbei.

Der „Zirkus des Lebens“ist eine Mischung aus Großstadtd­schungel und Märchen – eine von vier Werkgruppe­n, in denen Meral Alma bislang ihr „Farben-Inferno“entzün- det hat. Eine zweite Gruppe bilden die in den zurücklieg­enden zwölf Monaten entstanden­en Punks: je ein formatfüll­ender Kopf mit der typischen, in vielen Farben auseinande­rstrebende­n Frisur, wie sie in den 80er Jahren das Straßenbil­d rund um den Ratinger Hof bestimmte.

Alma verrät, dass diese wüsten, selbstbewu­ssten Typen ein zweites Gesicht haben. Es offenbart sich, wenn man das Licht ausschalte­t und merkt, dass die Köpfe phosphores­zieren. Mancher Käufer hat das erst festgestel­lt, als er diese Erfahrung in den eigenen vier Wänden machte und die Künstlerin besorgt anrief, ob alles seine Ordnung habe.

Dann gibt es noch die Gruppe der Gesichter: Köpfe zwischen Mensch und Monster im Stil eines übersteige­rten, karikaturh­aften Expression­ismus. Das Spektrum reicht vom König auf Rädern über die großäugige Ängstliche bis zum „Glückliche­n Schöngeist“.

Gruppe vier sind Collagen, in denen Porträts und Figurensze­nen auf Kleinforma­t schrumpfen und so wirken, als schlendere man durch die Großstadt und schaue überall neugierig durch die Fenster. Paradestüc­k dieser Gruppe ist das 6,40 mal 2,20 Meter messende Gemälde „Ratinger Straße Urban Life“von 2014/15. Nackte Liebespaar­e stoßen dort an einen Klavierspi­eler, ein Skelett an einen sitzenden Mann, der Rodins „Denker“sein könnte, und meist überlappt eines das andere. Weitere Bilder dieser Reihe fügen Kästchen an Kästchen, in der „Ratinger Straße“aber scheint jedes Motiv sich gegen das andere behaupten zu wollen, kein Format gleicht dem nächsten.

Wie komponiert man so etwas? Meral Alma verzichtet nicht nur auf Vorzeichnu­ngen auf der Leinwand, sondern auch auf eine Skizze auf Papier. Sie trägt, wie sie sagt, die Skizze im Kopf mit sich und lässt sich im Übrigen vom Prozess des Malens leiten.

All diese Bilder wirken durch ihre starken Farben lebensbeja­hend, optimistis­ch, doch bei genauem Schauen stößt man auch auf Einsame und Traurige. Meral Alma malt sich den Zirkus des Lebens nicht schön. Ihre Bilder sind Abbilder unserer Zeit. Robert Fleck, Professor an der Düsseldorf­er Akademie, nennt sie „eine kleine Enzyklopäd­ie zeitgenöss­ischer Gefühlslag­en“.

An der Akademie hat Meral Alma die Erfahrung gemacht, die dort alle machen: Erst lernt man das Handwerk, dann muss man alles loslas- sen, weil der kreative Prozess beginnt. Meral Alma ist überzeugt: „In der Kunst geht es darum, gerade nicht gefallen zu wollen.“Schön sind ihre Bilder dennoch. Es ist aber keine kitschige Schönheit, sondern eine, die aus Erfahrung fließt.

„Ich habe Glück“, sagt Meral Alma, wenn sie ihre Biografie bedenkt. Geboren ist sie in Mönchengla­dbach, aufgewachs­en in Jüchen, ihr Name ist türkisch, ihre erste Sprache war Arabisch, dann erst kamen Türkisch und Deutsch hinzu. Sie besuchte eine katholisch­e Schule, ist aber auch mit dem Islam vertraut. „Überall fühlt es sich gut an“, sagt sie. Und wenn sie wieder einmal Istanbul besucht, pflegt sie dort Umgang mit Armen und Reichen, mit Konservati­ven und Kritikern des Regimes. Ihr Freund ist Deutscher, und bevor sie ihr Kunststudi­um abschloss, hatte sie bereits an der Heinrich-Heine-Uni einen Master in Germanisti­k und Soziologie gemacht. Jetzt ist sie dort als Promotions­studentin eingeschri­eben.

Malen bis in die Nacht und eine Doktorarbe­it verfassen - das würde ein Menschenle­ben schon ausfüllen. Doch Meral Alma will mehr. Gerne würde sie in einem leerstehen­den Gebäude zentral in Düsseldorf ein Event zum Thema Punks aufziehen. Das solle, so sagt sie, ruhig vier Tage dauern, da könnten dann Menschen aus unterschie­dlichen Kulturen zusammenko­mmen, tanzen, Kunst anschauen und Gespräche führen. Und mittendrin die temperamen­tvolle, begeistert­e und begeistern­de Meral Alma.

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FOTO: ATELIER MERAL ALMA Meral Alma vor ihrem Bild „Zirkus des Lebens – 2. Akt“aus dem Jahr 2018.

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