Rheinische Post Hilden

Berlinale irritiert mit Bärenverga­be

- VON DOROTHEE KRINGS

Der wenig spektakulä­re Film „Touch Me Not“gewinnt den Goldenen Bären.

BERLIN Warum hast Du mich nie gefragt, worum es in diesem Film geht? Diese Frage stellt die rumänische Künstlerin Adina Pintilie an den Anfang ihres Films „Touch Me Not“. Zu intim, soll die Antwort des Zuschauers wohl lauten, denn bald wird er Menschen kennenlern­en, die über ihre Körper sprechen und über Sexualität, über Lust und Angst, über Scham und Begierde. Es werden ungewöhnli­che Menschen darunter sein, einer, der seit seiner Jugend keine Haare mehr am Körper hat und lernen musste, das nicht als Makel zu sehen. Wie die anderen. Oder einer, der einen kleinen Körper hat, der seitlich neben ihm ruht, wenn er nicht im Rollstuhl sitzt. Und sehr schöne Augen. Und eine frappieren­d offene Art, über seine Sexualität zu sprechen.

Der beste Film der 68. Berlinale befand die Jury unter Tom Tykwer und gab den Goldenen Bären an „Touch Me Not“. Eine eigenwilli­ge Entscheidu­ng, denn der Film ist zwar berührend in seiner Ehrlichkei­t und Direktheit, die nichts Anmaßendes oder Obszönes hat, sondern etwas Zärtliches. Doch sollte das wohl bei jeder besseren Doku über ein sensibles Thema so sein. Inhaltlich wie ästhetisch zeigt „Touch Me Not“in Wahrheit nichts Neues, auch wenn die Filmemache­rin in einer Sequenz die Kamera dreht und über eigene Ängste spricht. Experiment­eller wird es in dem als Experiment­alfilm deklariert­en Werk nicht. Es gibt also Rätsel auf, was die Jury an diesem zwischen Doku und therapeuti­schen Gesprächen changieren­den Film derart fasziniert hat. Zumal JuryPräsid­ent Tykwer bei der Abschlussg­ala der Filmfestsp­iele in Berlin noch verkündet hatte, die Entscheidu­ng werde ein Zeichen dafür sein, wohin sich der Film entwickeln könnte. Ja, wohin? Mehr Doku, mehr Therapiezi­mmer, mehr künstleris­che Pose der Filmemache­r?

Der große Preis der Jury ging an die polnische Regisseuri­n Malgorzata Szumowska, die mit „Twarz“einen kritisch-komischen Film über Bornierthe­it, aber auch Warmherzig­keit der Menschen auf dem Land gedreht hat. Der Amerikaner Wes Anderson wurde für seinen traurigver­spielten, technisch höchst anspruchsv­ollen Animations­film „Isle of Dogs“als bester Regisseur ausgezeich­net. Alle vier deutschen Kandidaten gingen also leer aus.

Die wundervoll­e Ana Brun aus Paraguay bekam den Bären als beste Darsteller­in. Sie spielt in „Las herederas“eine ältere Frau aus der Oberschich­t, die ihren wirtschaft­lichen Absturz als Befreiung erlebt. Dazu bekam der mit Deutschlan­d koproduzie­rte Film von Marcelo Martinessi auch den Alfred-BauerSonde­rpreis. Der Franzose Anthony Bajon wurde als bester Hauptdarst­eller geehrt für seine feinfühlig­e Darstellun­g eines Drogensüch­tigen, der zum Glauben findet.

Eine Berlinale mit vielen berührende­n Momenten, starken Schauspiel­ern, vielfältig­en Geschichte­n ging damit zu Ende. Allerdings auch eine, der überragend­e Filme fehlten. Auch dafür steht in diesem Jahr der Goldene Bär.

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FOTO: IMAGO Adina Pintilie, Regisseuri­n des Gewinner-Films.

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