Rheinische Post Hilden

Navid Kermani verehrt Willy Brandt

- VON CLAUS CLEMENS

Der Schriftste­ller diskutiert­e in Düsseldorf über seinen neuen Bestseller.

DÜSSELDORF Das neue Buch von Navid Kermani beschreibt eine Reiserepor­tage und heißt „Entlang den Gräben“. Es steht bereits auf Platz drei der Bestseller­liste. Auf seiner Lesereise machte der Autor jetzt auch in Düsseldorf Station. Der Große Saal des „Central“war seit langem ausverkauf­t, als Kermani gemeinsam mit Philipp Holstein, Kultur-Redakteur dieser Zeitung, auf der Bühne Platz nahm. Holstein bekannte, dass der in Siegen geborenen Iraner ihm Europas Osten erschlosse­n habe. Entstanden ist das Buch aus dem Plan Kermanis, mit seiner Familie im Auto in den Iran zu fahren. Wegen der vielen Mitbringse­l wollte die Familie mit dem Auto reisen, aber nicht durch die Türkei, sondern auf neuen Wegen. Als der „Spiegel“von dieser Absicht erfuhr, wurden daraus fünf bestens durchstruk­turierte Etappenrei­sen in 54 Tagen.

Für seine Vorbereitu­ng hatte Kermani ein paar Standardwe­rke gelesen, vor allem Timothy Snyders „Bloodlands“, und so reiste er zu Beginn vor allem zu den Gräberfeld­ern und ehemaligen Lagern, Gedenkstät­ten und anonymen Mordplät- zen. Dennoch machte der Orientalis­t keinen Hehl daraus, dass ihn die Reise auch in unbekannte­s Terrain führte. Sein Staunen, so schrieb eine Rezensenti­n, war ein durch und durch westdeutsc­hes Staunen. In Auschwitz wurde er dann tatsächlic­h einer westdeutsc­hen Reisegrupp­e zugeordnet.

An diesem Punkt lief der Düsseldorf­er Abend in eine neue Richtung. Philipp Holstein wollte wissen, wo denn für Navid Kermani das typisch Deutsche festzumach­en wäre. Für Kermani hat dieses so schuldbela­dene Land seine wiedergefu­ndene Würde vor allem zwei Ereignisse­n zu verdanken: „Das ist der Kniefall Willy Brandts in Warschau und die erst seit kurzem manifeste Tatsache, dass jeder Besucher des Reichstags neben der Nationalfa­hne auch an Gerhard Richters ,Birkenau-Zyklus’ vorbeigehe­n muss.“

Auf seiner Lesereise hat sich der Autor allerdings abgewöhnt, die Abende mit dem Auschwitz-Kapitel zu beginnen. Das sei für ihn wie für das Publikum doch immer wieder sehr emotional, und er tue damit vielen anderen Punkten der großen Reise „entlang den Grenzen“unrecht, die ihm ebenso wichtig wären.

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