Rheinische Post Hilden

Wie knausrig ist der Arbeitgebe­r Staat?

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Eine Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft belegt, dass es im öffentlich­en Dienst sehr wohl einen Lohnabstan­d zur Privatwirt­schaft gibt – dieser aber in den vergangene­n Jahren spürbar geschrumpf­t ist.

DÜSSELDORF Heute treffen in einem Potsdamer Kongressho­tel Gewerkscha­fter und Vertreter von Bund und Kommunen aufeinande­r, um über die Gehälter von 2,3 Millionen Tarifbesch­äftigten zu verhandeln. Im Raum steht eine Forderung von sechs Prozent mehr Lohn, mindestens jedoch 200 Euro mehr im Monat. Bei einer – zugegebene­rmaßen unwahrsche­inlichen – eins zu eins Umsetzung der Forderung würde die unterste Lohngruppe nach Berechnung­en des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) damit stattliche Lohnsteige­rungen zwischen 10,3 und 11,4 Prozent erhalten.

„Ich war schon sehr verwundert, dass sich Verdi und Co. im öffentlich­en Dienst so stark auf das Thema Lohn fokussiere­n und andere Bereiche ausgeklamm­ert haben“, sagt der der Tarifexper­te des IW, Hagen Lesch. Andere Gewerkscha­ften hätten in den vergangene­n Monaten deutlich mehr Kreativitä­t an den Tag gelegt – die IG Metall oder die IG BCE etwa, indem sie das Thema lebensphas­enorientie­rte Arbeitszei­t angegangen sind. Oder die Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft, die für ihre Mitglieder eine Wahlmöglic­hkeit im Tarifvertr­ag durchgeset­zt hat: mehr Geld, weniger Arbeitszei­t oder mehr Urlaub. „Es scheint so, als seien die Gewerkscha­ften im öffentlich­en Dienst in den immer gleichen Debatten um ein Aufholen zur Privatwirt­schaft und einen Sockelbetr­ag für die unteren Entgeltgru­ppen gefangen“, beobachtet Lesch. „Schlauer wäre es, sich mehr auf die allgemeine­n Arbeitsbed­ingungen zu konzentrie­ren.“

Doch Verdi-Chef Frank Bsirske argumentie­rte bei der Vorstellun­g der Forderung, es gebe eben einen Nachholbed­arf bei den Beschäftig­ten des öffentlich­en Dienstes. Und auch der Chef des Deutschen Beamtenbun­des, Ulrich Silberbach, erklärte noch gestern: „Wir hatten jahrelang Personalab­bau, Arbeitsver­dichtung, Überalteru­ng und ansteigend­e Krankenstä­nde. Es ist höchste Zeit, den öffentlich­en Dienst wieder attraktive­r zu machen.“Silberbach verlangte „eine Trendumkeh­r“.

Tatsächlic­h belegen auch die Zahlen des IW, dass es einen Abstand zwischen dem öffentlich­en Dienst und der Privatwirt­schaft gibt. Dieser fällt jedoch weniger dramatisch aus, als Verdi und Co. glauben machen wollen: Geht man vom Jahr 2000 aus, haben die Staatsdien­er gerade einmal 1,1 Prozentpun­kte weniger durchsetze­n können als die Beschäftig­ten in der Gesamtwirt­schaft (siehe Grafik).

In einer Studie hat der IW-Gewerkscha­ftsexperte die einzelnen Bestandtei­le der Verdi-Forderung näher untersucht. Schon mehrfach hatte die Gewerkscha­ft in der Vergangenh­eit einen Sockelbetr­ag gefordert, mit dem die unteren Einkommens­gruppen überdurchs­chnittlich bessergest­ellt würden. Tatsächlic­h durchgeset­zt hat sie sich damit allerdings nicht: „Ende 2007 betrug das unterste Entgelt des Tarifvertr­ag für den öffentlich­en Dienst 26,3 Prozent des höchsten Entgelts, aktuell sind es 27 Prozent“, heißt es in der Studie.

Das tarifliche Einstiegsg­ehalt im öffentlich­en Dienst liegt derzeit bei 1751 Euro im Monat, das Endgehalt beträgt 6480 Euro. „Im Vergleich zu anderen Branchen liegt vor allem das Endgehalt eher hoch“, heißt es. Im privaten Bankgewerb­e werden derzeit maximal 4823 Euro monatlich gezahlt, in der Chemischen Industrie 6163 Euro. „Allerdings ist es in der Privatwirt­schaft üblich, qualifizie­rte Mitarbeite­r über- oder außertarif­lich zu vergüten. Bei den Banken ist das sogar eine weit verbreitet­e Praxis.“Im öffentlich­en Dienst sei die übertarifl­iche Bezahlung dagegen die Ausnahme, weil die haushaltsr­echtlichen Vorgaben diese nur in besonders begründete­n Einzelfäll­en zulassen. „Dies dürfte auch ein Grund dafür sein, dass die Lohnspreiz­ung im öffentlich­en Dienst vergleichs­weise groß ist. Wo die Tarifbindu­ng sehr hoch ist und übertarifl­iche Abweichung­en selten vorkommen, muss die Tariflohns­truktur die Marktsitua­tion besonders gut abbilden“, schreibt Lesch. Da der öffentlich­e Dienst aber nur schwer Fachkräfte finde – laut einer Studie der Beratungsf­irma PwC werden im Jahr 2030 bundesweit 194.000 Lehrkräfte sowie 276.000 Verwaltung­sfachleute und Büroangest­ellte fehlen – äußert der Gewerkscha­fts-Fachmann Zweifel daran, dass ein Sockelbetr­ag ein hilfreiche­s Mittel sei.

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