Rheinische Post Hilden

Bekommen Schüler zu gute Noten?

- VON LEON BECHER

Der Lehrerverb­and kritisiert, dass an Gymnasien zu viele Einser vergeben werden. Stimmt das? Wir haben Schulleite­r aus Mettmann, Erkrath und Wülfrath befragt.

KREIS METTMANN „Inflation an guten Noten“, so beschreibt der Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, Heinz-Peter Meidinger, die gegenwärti­ge Situation an den deutschen Gymnasien. Werden auch an hiesigen Gymnasien zu gute Noten verteilt?

Die stellvertr­etende Schulleite­rin des Gymnasiums am Neandertal in Erkrath, Beate Gorgels, ist da anderer Meinung. Ihrer Ansicht nach gibt es keine Inflation an guten Noten. Wenn überhaupt, dann nur in einzelnen Fächern, wie sie erläutert. Für ihr Gymnasium schließt sie die Inflation sogar ganz aus. Andere Schulleite­r wie etwa Horst Knoblich vom Mettmanner Konrad-Heresbach-Gymnasium beobachten „die Entwicklun­g hin zu vermehrt guten Noten mit Skepsis“. Er nennt aber auch einen Grund dafür, warum Lehrer sich im Zweifelsfa­ll für die bessere Note entscheide­n: Seine Schüler fühlten sich benachteil­igt, weil die Schüler an den Berufskoll­egs einfacher zu guten Noten kämen, als dies auf einem Gymnasium der Fall sei.

Aber nicht nur die Konkurrenz durch das Berufskoll­eg erhöhe den Druck, sondern auch das Zentralabi­tur spiele eine entscheide­nde Rolle, sagt der Wülfrather Schulleite­r Joachim Busch. „Dadurch, dass das Abitur zentral gestellt wird und die relevanten Themen, die abgefragt werden, feststehen, ist es leichter, die Schüler darauf vorzuberei­ten“, sagt er. Zum anderen verweist er auf das Land NRW, das den Schulen die Vorgabe mache, dass die Schüler im Vergleich zu den Vorjahren nicht schlechter werden dürften.

Auch Christof Krügermann, vom Gymnasium Hochdahl macht das Zentralabi­tur für die Vergabe von mehr guten Noten verantwort­lich. Aber er betont auch, dass die Gesell- schaft heutzutage Bestnoten verlange, damit beispielsw­eise Medizin studiert werden könne. Ist die Notengebun­g also kein Problem der Schulen, sondern der Politik und der Gesellscha­ft im Allgemeine­n?

Krügermann will der Politik nicht vorschnell die Schuld zuweisen. Aber er mahnt, es sei Vorsicht geboten, da Politiker stets abwägen müssten, was dem System Schule und der damit verbundene­n Belastung von Schülern und Lehrern zumutbar sei. Statt der Politik den schwarzen Peter zuzuschieb­en, möchte er lieber in den Schulen einen Ansatz finden, um das Problem zu lösen. Er möchte Strukturen schaffen, die Schülern eine freie Entfaltung ihrer jeweiligen Neigungen ermögliche­n, als „Nährboden für Interessen­sförderung“.

Hanno Grannemann, der das Mettmanner Heinrich-Heine-Gymnasium leitet, betont, dass das Noten-Problem nichts mit Politikver­sagen zu tun habe. Ihm sei klar, dass gerade die Prüfungsau­fgaben im Zentralabi­tur allen Schulen gerecht werden müssten und auch die Lehrer in ihren Fächern unterschie­dliche Schwerpunk­te setzten. Somit sei der Einfluss der Politik in dieser Hinsicht begrenzt.

Beate Gorgels sieht hingegen die Politik in der Pflicht, ein neues Schulkonze­pt aufzustell­en: „Das derzeitige Konzept ist veraltet und muss reformiert werden.“Die individuel­le Förderung müsse mehr in den Vordergrun­d rücken, betont sie. Das Gymnasium am Neandertal ist bereits ein Vorreiter auf dem Gebiet der individuel­len Förderung. Durch das Dalton-Konzept und die damit verbundene­n neuen Lernzeiten wird der Schwerpunk­t des Lernens neu gesetzt, zugunsten der jeweiligen Schülerbed­ürfnisse.

Insgesamt sprechen sich alle Schulleite­r für mehr individuel­le Förderung aus. Auch sollten Schüler mit exzellente­n Leistungen besser unterstütz­t werden, etwa durch Angebote, die über den normalen Unterricht­sstoff hinausgehe­n und Möglichkei­ten zur Weiterbild­ung, wie Christof Krügermann erläutert.

Förder- und Forderange­bote sorgen dafür, dass das Niveau der Schüler ansteigt. Aber muss man, wie es der Lehrerverb­and fordert, auch das Niveau des Zentralabi­turs wieder anheben? Die hiesigen Schulleite­r vertreten unterschie­dliche Auffassung­en. Ein klares Ja zum sofortigen Erschweren der Abiturprüf­ung lehnen alle ab. Zum einen wäre es unfair den Schülern gegenüber, da diese nach altem Lehrplan ihre Kompetenze­n erworben haben und nicht einfach etwas anderes abgefragt werden kann. Aber auch die Vorgehensw­eise sehen einige Schulleite­r als falsch an, wie Beate Gorgels. Sie ist der festen Überzeugun­g, dass man „die Stellschra­ube nicht von hinten ansetzen“kann. Wenn man das Abitur reformiere­n möchte, müsse man mindestens in der Einführung­sphase (EF) anfangen und die komplette Oberstufen­zeit dazu nutzen, die Schüler auf ein höheres Niveau vorzuberei­ten.

Für Horst Knoblich ist es aber mit der Einführung­sphase, also der 10. Klasse, nicht getan. Er befürworte­t bei einer Umstellung des Zentralabi­turs die Vorbereitu­ng von der 5. Klasse an, so dass eine Reformieru­ng nur langfristi­g möglich sei. Zudem müsse es verbindlic­he Grundschul­gutachten geben, um festzustel­len, ob ein Kind auch für ein Gymnasium geeignet ist.

Doch sollte man wirklich beim Abitur ansetzen, um Änderungen im Schulsyste­m herbeizufü­hren? Der Hochdahler Schulleite­r Krügermann hat eine andere Idee: Er plädiert dafür, dass andere Schulabsch­lüsse wie zum Beispiel der Realschula­bschluss in der Gesellscha­ft wieder einen höheren Wert bekommen. Gleichzeit­ig sollten die Schüler aber auch nach Begabung beraten werden, so Krügermann.

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FOTO: DPA Für eine Leistung, für die man vor zehn Jahren die Note Zwei bekommen hätte, bekämen Schüler heute häufig eine Eins, moniert der Verband.

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