Rheinische Post Hilden

Die Hoffnung wird erneuert

- STEFAN MERGLER IST KAPLAN DER KATHOLISCH­EN KIRCHENGEM­EINDE ST. JACOBUS.

Einmal im Jahr, am Karfreitag, füllen unzählige Menschen die Straßen meiner Heimatstad­t Lohr a. Main. Sogar das Bayerische Fernsehen kommt und berichtet von der Karfreitag­sprozessio­n. Sie liegt mir sehr am Herzen und geht mir zu Herzen. Seit mehr als 350 Jahren tragen Handwerksi­nnungen der Stadt die lebensgroß­en Figuren mit den Szenen der Passion. Sie führen den Besuchern die schrecklic­hsten Momente vom Ende des Lebens Jesu vor Augen. Die Prozession verläuft ganz im Schweigen. Nur das eintönige Stakkato der Paukenschl­äge ist zu hören. Es ist wie der Trauermars­ch einer Beerdigung, der langsam und feierlich durch die Altstadt von Lohr zieht.

Die Prozession ist mehr als ein Touristen-Spektakel, mehr als Brauchtum oder Tradition, denn der Beobachter wird in das Geschehen hineingezo­gen und hautnah mit der geschunden­en Gestalt Jesu konfrontie­rt. Ausgeliefe­rt und ohnmächtig wirkt er in seinen letzten Stunden. Die Figuren in Lohr lösen Betroffenh­eit aus. Sie scheinen uns zu sagen: Menschen können einander das Leben zur Hölle machen. Die Erfahrung, verraten, gedemütigt, beschmutzt worden zu sein, hinterläss­t nicht selten tiefe Wunden, die lange brauchen, um zu heilen. Wie damit umgehen? Diese Frage darf man nicht zu leicht nehmen. Sprüche wie „es wird schon wieder„ oder „nimm’s nicht so tragisch, das Leben geht weiter„ helfen nicht wirklich. Ein Gedanke kommt mir wieder: Der gemarterte Christus in seiner größten Not – er wird auch mich in meinen tiefsten Nöten verstehen, weil er sie selbst durchlitte­n hat. Schon in seinem irdischen Leben hatte Jesus Mitleid, zeigte er Empathie mit den leidgeprüf­ten Menschen seiner Zeit. Die Evangelien berichten davon. Ja, mehr noch: Empathie: mitfühlen, mitleiden, das gehört zum Wesen des Gottes, den Jesus uns gezeigt hat. Ich spüre, Jesus hat sich durch sein Leiden auf die Seite der Ohnmächtig­en gestellt. Er ruft mich, es ihm gleich zu tun und jeden Menschen ernst zu nehmen in seinen Problemen, ja sogar mit ihm zu leiden und mit ihm nach Hoffnung und Trost zu suchen. Und es gibt diese Hoffnungss­chimmer, auch bei der Karfreitag­sprozessio­n in Lohr: Die dreizehnte und letzte figürliche Darstellun­g mit dem Namen „Zeichen des Jona – Zeichen der Auferstehu­ng„ zeigt einen Menschen, der aus dem offenen Rachen eines Walfisches herauslugt. Sie bezieht sich auf Jona, einen Propheten des Alten Testaments, der drei Tage im Walfischma­gen verbringen musste und dann wieder aus-gespuckt wurde. Für uns Christen ist dies seit jeher Hinweis auf die Auferstehu­ng Jesu am dritten Tag: Zeichen der Hoffnung, weil nicht das Leid und der Tod, sondern das Leben das letzte Wort behält. Ich wünsche Ihnen, dass die Feier der Karund Ostertage viele Wunden heilt und in die Hoffnung erneuert.

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