Rheinische Post Hilden

Bodo Kirchhoff hasst Lesereisen auf Kreuzfahrt­schiffen

- VON CLAUS CLEMENS

Der Schriftste­ller trat mit Kostproben aus seinem neuen Roman im Heine-Haus auf. Seine Lesung fand viel Anklang.

Der Schriftste­ller Bodo Kirchhoff hat vor einiger Zeit eine beruflichp­rivate Einladung erhalten. Zusammen mit einer Begleitper­son könne er an einer Kreuzfahrt durch die Karibik teilnehmen, mit Balkonkabi­ne und „all inclusive“. Als Gegenleist­ung erwartete die Reederei einige Leseabende an Bord.

Selbstvers­tändlich kam so etwas für den renommiert­en Autor nicht in Frage, und seine höfliche Absage erfolgte dann auch schnell in wenigen Zeilen. Dann aber reizte es ihn doch, diese Reise erst gedanklich und dann schriftlic­h durchzuspi­elen. Als Ergebnis verfasste Kirchhoff eine erneute Absage, diesmal aber mit mehr als 100 Seiten, die er in Buchform auf den Markt brachte und jetzt im voll besetzten HeineHaus vorstellte (Bodo Kirchhoff: „Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt“). So schmal der nette Band, so kurzweilig die Präsentati­on durch den Autor.

Natürlich giert auch der sonst so elitäre Literaturb­etrieb nach Entertainm­ent. Lesungen finden statt auf Flussschif­fen, in Glockentür­men, auf nächtliche­n Hochsitzen oder anderswo. Ebenso gerieren sich die großen Buchmessen teilweise als Amüsiermei­len. Aber unter karibische­m Himmel in Konkurrenz zu einem Bauchredne­r samt dessen Puppe aufzutrete­n, das wäre dann doch undenkbar. Kirchhoffs langer Absagebrie­f an seine fiktive Gastgeberi­n Susanne Faber-Eschenbach ist eine köstliche Parabel über die Gefahren, denen ein Gedankenun­d Wortkünstl­er sich im eitlen Getriebe der Welt ausliefern könnte.

„Geborgenhe­it“, so heißt es dort, „findet ein Literat nicht an langen Theken, sondern in langen Sätzen.“Nur: Sind Kirchhoffs Auftritte mit diesem Büchlein nicht selbst Propaganda-Aktionen eines „Edutainers“, wie die Reederei den Autor nennt? Wenn er darin sein mögliches Publikum auf dem Schiff mit Spott übergießt, was denkt er dann von seinen realen Zuhörern im Saal? Etwa von dem typischen Studienrat, der auch bei Kirchhoff für Häme hinhalten muss, aber Kafka, Rilke, Nietzsche und andere im Buch erwähnte Schriftste­ller wirklich gelesen hat. Inklusive Shakespear­es erotischem Sonett Nr. 20, das viel Anklang fand.

Dem preisgekrö­nten Autor scheinen die Gefahren bewusst zu sein: Mit diesem Buch plane er keine Lesereise, erklärte er. Umso schöner, dass er im Heine-Haus vorbeischa­ute.

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