Rheinische Post Hilden

Das Kreuz reißt Wunden auf

- ANNETTE BRAUN-WOLF IST PFARRERIN DER FRIEDENSKI­RCHE HILDEN-NORD.

Müssen Sie denn immer diese Geschichte vom Kreuz erzählen?“werde ich gefragt. „Das ist doch nicht mehr zeitgemäß. Und das versteht ja auch keiner.“Es stimmt ja – die Geschichte, warum Jesus auf grausame Weise sterben musste, und was das mit unserem Glauben zu tun hat, ist schwer verdaulich. Seit es diese Geschichte gibt, haben sich Menschen darüber geärgert. Eine Torheit, ein Skandal ist das, hat der Apostel Paulus geschriebe­n. Was da passiert ist, lässt sich nicht schönreden. Es stört den reibungslo­sen Ablauf der Dinge. Es reißt Wunden auf und zieht jedem Heile-Welt-Glauben den Boden unter den Füßen weg. Wer sich mit dem Kreuz beschäftig­t, wird nicht fertig damit. Und doch kann man sich dem Kreuz annähern, es betrachten und auf sich wirken lassen. In sich hineinhorc­hen, was es in meinem Inneren auslöst – dazu laden die Kirchen am Karfreitag ein. Das Kreuz in der Friedenski­rche in Hilden legt dabei eine ganz besondere Spur. Mehr als 2000 Nägel sind in die Holzwand hinter dem Altar geschlagen und bilden miteinande­r ein riesiges Kreuz. An den Rändern stehen die Nägel weiter auseinande­r, als wären sie erst später hinzugekom­men, während sie sich zur Mitte hin immer weiter verdichten. Da wo sich die gedachten Linien der Kreuzesbal­ken treffen, stehen sie so dicht beieinande­r, dass kein weiterer Nagel mehr dazwischen passen würde. Das ist der Kreuzpunkt – da wo das Herz Jesu geschlagen hat, bis es verstummt ist. Wenn jeder Nagel eine Geschichte erzählen würde … meine Geschichte, deine Geschichte. Wie viele Geschichte­n kämen da zusammen! Und alle unsere Geschichte­n wären aufgehoben und mitgetrage­n von dem, der das Leid der Menschen auf sich genommen und es in Liebe verwandelt hat.

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