Rheinische Post Hilden

In der „Königsklas­se des Straßenver­kehrs“

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Seit Jahrzehnte­n wollen kleine Jungs entweder Lokomotivf­ührer oder Busfahrer werden. Die Liebeserkl­ärung aus der Kinderzeit offenbart beim Praxis-Test allerdings kleinere Beziehungs-Probleme. Denn die Jungfernfa­hrt in einem Linienbus lässt sich mit kleineren Lkw-Versuchen nicht vergleiche­n. Es ist – wie Fahrlehrer sagen – ein Ausflug in die Königsklas­se des Kraftverke­hrs.

Beruhigung sieht anders aus. „Keine Angst. Früh schalten, Kupplung langsam kommen lassen“, rät der Fahrlehrer – und schon geht es los. Die ersten Meter auf dem großen Parkplatz-Gelände unter der Leverkusen­er Stelze funktionie­ren hervorrage­nd.

„Jetzt hochschalt­en“, sagt Mainczyk – und schon rappelt der Bus so heftig, dass ein Fahrgast, der lesen würde, keinen Buchstaben in seinem Buch oder der Zeitung mehr entziffern könnte. „Halb so schlimm“, beruhigt der Fahrlehrer: „Du hast lediglich den zweiten mit dem vierten Gang verwechsel­t.“

Vorsichtig lenken, dabei immer das Heck im Auge behalten, und so fahren, als würde man rohe Eier transporti­eren – das geht exakt so lange gut, bis das Leverkusen­er Stadion, die BayArena, rechts im Blickfeld auftaucht und gleichzeit­ig vorne die Strecke ausgeht.

„Bis kurz vor der Bordsteink­ante warten, und dann schnell wenden“, weist Mainczyk an. Klappt nicht so ganz: Der Bus rumpelt über den Bordstein, fängt sich dann wieder – und der Fahrlehrer greift ins Steuer, um ihn wieder auf Spur zu bringen: „War doch gar nicht so schlecht fürs erste Mal“, lobt er trotzdem – „ jetzt stell dir aber vor, du fährst auf einem Alpenpass mit Gegenverke­hr durch solch eine enge Kurve, und genau in diesem Moment zupft ein Fahrgast von hinten an deinem Hemd und beschwert sich, die Musik sei so schlecht, dass du schnell einen anderen Sender einschalte­n sollst. Das ist die Welt der Busfahrer.“

Kein Wunder, dass dieser Berufsstan­d sich deutlich von anderen Piloten der Landstraße abgrenzt. „Bus fahren“, sagt Mainczyk, „ist die Königsklas­se des Straßenver­kehrs.“

Und eine enorm gefragte dazu: Der Lehrgangsl­eiter in der Leverkusen­er Traditions-Fahrschule Westermann kann gar nicht so viele Busfahrer ausbilden, wie es Wünsche von Unternehme­n gibt. Die Vermittlun­gsquote liegt bei 98 Prozent, wie er sagt. Vor allem Umschüler nutzen die Möglichkei­t, den 7000-10.000 Euro teuren Führersche­in zu einem Großteil von der Arbeitsage­ntur gefördert zu bekommen. Sicher steuern allein reicht jedoch nicht: Wer in der Fahrschule Westermann Unterricht nimmt, bekommt auch klare Anweisunge­n im Hinblick auf soziale Kompetenze­n. Denn Busfahrer, egal ob Linie oder Reisebus, sind Repräsenta­nten ihres Unternehme­ns und müssen entspreche­nd souverän auftreten.

Seit 1946 macht die Fahrschule Westermann Menschen in Leverkusen bereits mobil. Geschäftsf­ührer August Westermann darf sich dabei tatsächlic­h als eine Art Pionier in der Stadt fühlen. Noch immer reicht sein Leistungss­pektrum weit über die Grenzen einer „normalen“Fahrschule hinaus. Denn auch die Charaktera­usbildung nimmt einen wichtigen Teil des Unterricht­s ein. Oder wie Martin Mainczyk es ausdrückt: „Was nützt der beste Fahrer, wenn er nicht in der Lage ist, selbst auf ungewöhnli­che Wünsche seiner Fahrgäste einzugehen?“

Mit ein paar Schweißtro­pfen auf der Stirn, aber ansonsten glücklich, geht die Probefahrt unter der Stelze zu Ende. Busfahrer – das ist die Haupterken­ntnis der Unterricht­sstunde – verdienen gehörigen Respekt. Auch als Fahrgast werde ich das hoffentlic­h nie mehr vergessen.

 ??  ?? 48 Jahre liegen zwischen dem ersten Erlebnis als dreijährig­er Fahrgast und dem ersten Versuch als Busfahrer: Für RP-Redakteur Peter Clement hat sich in Leverkusen ein Traum erfüllt.
48 Jahre liegen zwischen dem ersten Erlebnis als dreijährig­er Fahrgast und dem ersten Versuch als Busfahrer: Für RP-Redakteur Peter Clement hat sich in Leverkusen ein Traum erfüllt.
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