Rheinische Post Hilden

„Wir können die Autoindust­rie nicht zwingen“

- JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Die Umweltmini­sterin über politische­n Druck auf die Diesel-Hersteller, neue Förderpräm­ien und Andrea Nahles als Kanzlerkan­didatin.

BERLIN Wir treffen die neue Bundesumwe­ltminister­in in ihrem Berliner Büro. Svenja Schulze muss sich noch einfinden: Eine Wohnung hat sie in der Hauptstadt bisher nicht und über Ostern studierte sie 1500 Seiten Akten. Im Gespräch gibt sie sich offen und bestimmt. Frau Schulze, Sie haben von der Autoindust­rie technische Nachrüstun­gen für Diesel gefordert und prompt eine Absage kassiert. Was folgt jetzt? SCHULZE Diese Art von Antwort ist leider typisch. Das war bei der Einführung des Katalysato­rs auch nicht anders. Am Ende ging es dann doch und hat der deutschen Automobili­ndustrie sicher nicht geschadet. Es mag ja sein, dass Nachrüstun­gen in einigen Modellen technisch schwierige­r sind als in anderen. Aber dann erwarte ich von den Hersteller­n, dass sie zumindest das möglich machen, was technisch möglich und wirtschaft­lich vertretbar ist. Sie sind also zuversicht­lich, dass die Industrie noch einknicken wird? SCHULZE Es geht nicht um Einknicken. Die Autobauer haben Diesel als sauber verkauft, die auf der Stra- ße nicht sauber sind. Darum müssen sie sie auf ihre Kosten nachrüsten. Man stelle sich vor, Hersteller anderer Konsumgüte­r würden sich so verhalten. Die würden doch nie damit durchkomme­n. Unabhängig davon wären technische Nachrüstun­gen auch für die Hersteller selbst eine gute Strategie, wenn sie den Ruf des Diesels wiederhers­tellen wollen. Trotzdem bleibt offen, was Sie tun können. Welche Sanktionen gibt es? SCHULZE Tatsächlic­h fehlt uns leider der juristisch­e Hebel, um technische Nachrüstun­gen auf Kosten der Autoherste­ller zu erzwingen. Deswegen kommt es darauf an, dass wir den politische­n Druck erhöhen. Die Software-Updates hat die Bundesregi­erung letzten Sommer auch nur zur Hälfte erzwungen. Den Rest hat die Industrie freiwillig angeboten, weil wir gemeinsam Druck gemacht haben. Darum habe ich meine Kollegen Scheuer, Altmaier und Barley auch gebeten, die Chefs der Autokonzer­ne gemeinsam zu einem Gespräch einzuladen. Ihr Vorstoß bei der EU für kostenfrei­en Nahverkehr stieß bei den Kommu- nen auf heftige Kritik. SCHULZE Das war eine mutige Idee aus dem Kanzleramt, die eine gute Debatte ausgelöst hat. Wir arbeiten derzeit mit fünf Modell-Städten zusammen, um Ideen für saubere Luft zu testen. Es stimmt, der kostenlose Nahverkehr ist inzwischen vom Tisch, aber dafür bekommen wir viele andere gute Vorschläge, wie man den Nahverkehr attraktive­r machen kann. Viel bewegen ließe sich auch im Segment der Kleintrans­porter, insbesonde­re beim Lieferverk­ehr. Hier könnte sich die Elektromob­ilität als Erstes durchsetze­n, weil die Strecken meist kurz und gut planbar sind und die Autos nachts aufladen können. Darum setze ich mich dafür ein, dass der bisherige Zuschuss von 4000 Euro für kleine E-Lieferwage­n deutlich erhöht wird. 7000 Euro wäre eine Größenordn­ung, ab der sich die Flottenums­tellung für viele Logistiker und auch Handwerker lohnt. Könnte eine Art „Verzichtsp­rämie“helfen, damit sich Menschen gar nicht erst ein Auto anschaffen und dafür Geld für den öffentlich­en Nahverkehr hätten? SCHULZE Nein, ich halte nichts von erzieheris­cher Politik. Ich setze auf die Vernunft der Menschen und darauf, durch gute Angebote umweltfreu­ndliches Verhalten attraktiv zu machen. Als Generalsek­retärin der NRW-SPD haben Sie Mut für den Kohleausst­ieg gefordert. Wann kommt der? SCHULZE Wir setzen jetzt eine Kommission für den Strukturwa­ndel ein, die Konzepte erarbeiten soll, um alle Menschen mitzunehme­n. Die wird auch ein Enddatum für die Kohleverst­romung vorschlage­n. Das geht ökonomisch, und das geht mit Blick auf die Versorgung­ssicherhei­t. Die große Herausford­erung ist, dass wir das auch sozial hinbekomme­n und neue Perspektiv­en schaffen nicht nur für die Kumpel, sondern auch für ihre Kinder und Enkelkinde­r. Wären Sie dafür, dass Andrea Nahles SPD-Kanzlerkan­didatin wird? SCHULZE Die Frage steht jetzt wirklich nicht an. Grundsätzl­ich wäre es sicher gut, wenn die Kanzlerkan­didatur mal eine Frau übernimmt. Aber jetzt wollen wir Andrea Nahles erstmal beim Parteitag zur neuen SPD-Chefin wählen, das ist historisch. Meine Stimme bekommt sie. Wackelt ihre Wahl zur Parteichef­in? SCHULZE Nein. Aber klar ist, dass wir sehr intensiv über die notwendige­n Erneuerung­smaßnahmen der Partei diskutiere­n müssen und werden. Wie kann sich die SPD in der Regierung erneuern? SCHULZE Wir haben schon bei unserem Parteitag in Bonn mit der kontrovers­en, aber nach vorn gerichtete­n, ausführlic­hen und sehr guten Diskussion gezeigt, dass wir einen neuen Weg gehen. So eine Form der Führung, die die Partei zu einem einheitlic­hen Kurs zwingt, wird es nicht mehr geben. Im Koalitions­vertrag ist eine Bilanz zur Halbzeit der Wahlperiod­e vereinbart. Kann das der Zeitpunkt sein, an dem die SPD die Koalition mangels erfolgreic­her Umsetzung der Vereinbaru­ngen aufkündige­n könnte? SCHULZE Der Koalitions­vertrag gilt für die gesamte Wahlperiod­e. Wir wollen von jetzt an dreieinhal­b Jahre gemeinsam gut regieren. Das ist unser Auftrag. Es muss eine Verständig­ung darüber geben, ob wir unsere Zukunftsve­rsprechen eingehalte­n haben. Es darf nicht passieren, dass Absprachen irgendwo im Kanzleramt verhungern. Die Zwischenbi­lanz nehmen wir sehr ernst. Die Vereinbaru­ng steht ja nicht einfach nur so im Koalitions­vertrag.

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FOTOS: DPA
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