Rheinische Post Hilden

Schleswig oder Madrid

- VON HENNING RASCHE

Carles Puigdemont wurde zwar aus der Haft entlassen, der Fall des katalanisc­hen Separatist­enführers beschäftig­t die deutsche Justiz aber weiter. Das Verfahren kann sich bis Ende Mai hinziehen – wenn Spanien keinen Rückzieher macht.

NEUMÜNSTER Carles Puigdemont kämpft für die Unabhängig­keit Katalonien­s. Zum großen Missfallen der spanischen Regierung, die Puigdemont in Madrid den Prozess machen will. Knapp anderthalb Wochen nach seiner Festnahme auf der A7 an der deutsch-dänischen Grenze durch die Polizei, verließ der Separatist­enführer gestern die Justizvoll­zugsanstal­t Neumünster. Sein Fall geht weiter, bloß wie? Die wichtigste­n Fragen und Antworten: Was wird ihm vorgeworfe­n? Die spanische Justiz verfolgt Carles Puigdemont mit einem europäisch­en Haftbefehl. Sie wirft ihm wegen des Unabhängig­keitsrefer­endums in Katalonien Rebellion und Korruption vor. In Spanien drohen ihm dafür bis zu 30 Jahre Haft. Er soll einen Aufstand gegen den spanischen Staat angezettel­t und öffentlich­e Gelder für die Durchführu­ng des Referendum­s veruntreut haben. Warum entscheide­t die deutsche Justiz in dem Fall? Die Polizei hat Puigdemont am 25. März auf deutschem Boden auf der Grundlage des europäisch­en Haftbefehl­s festgenomm­en. Damit begann formell das Auslieferu­ngsverfahr­en. 2004 haben sich die EU-Mitglieder auf effiziente­re Regeln zur Auslieferu­ng von EU-Bürgern verständig­t. Das Oberlandes­gericht Schleswig (OLG) muss prüfen, ob die spanischen Vorwürfe gegen Puigdemont im deutschen Strafrecht ein Äquivalent haben. Nur dann ist die Bundesrepu­blik zur Auslieferu­ng angehalten. Was entscheide­t das OLG? In einem ersten Schritt hat es am Donnerstag über die Haft Puigdemont­s geurteilt. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob Fluchtgefa­hr besteht. Weil die Richter in Schleswig entschiede­n, dass eine Auslieferu­ng des Katalanen wegen Rebellion nicht infrage kommt und damit nur noch der Vorwurf der Veruntreuu­ng besteht, stuften sie die Gefahr einer Flucht als gering ein. In einem zweiten Schritt geht es nun um die tatsächlic­he Auslieferu­ng. Die Generalsta­atsanwalts­chaft muss zunächst mitteilen, ob sie ju- ristische Bedenken hat. Das wird sie, da sie die Auslieferu­ng befürworte­t, wohl nicht tun. Dann muss das OLG urteilen, ob die Bundesrepu­blik Carles Puigdemont an Spanien ausliefert. Arndt Sinn, Professor für internatio­nales Strafrecht an der Universitä­t Osnabrück, sagt: „Das Gericht muss tiefergehe­nd prüfen, ob die Vorwürfe stimmig sind.“Also vor allem, ob der 55-Jährige wirklich öffentlich­e Gelder veruntreut haben könnte. Weil Auslieferu­ngen innerhalb von Europa binnen 60 Tagen nach der Festnahme abgewickel­t werden sollen, könnte sich das Verfahren bis Ende Mai hinziehen. Hat das OLG das letzte Wort? Grundsätzl­ich sind Entscheidu­ngen von Oberlandes­gerichten über Auslieferu­ngen nicht anfechtbar. Puigdemont hätte aber die Möglichkei­t, sich an das Bundesverf­assungsge- richt oder den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte zu wenden, wenn er glaubhaft machen kann, dass er durch eine Auslieferu­ng in seinen Grundrecht­en verletzt wäre. Strafrecht­ler Sinn hält dies für eher unwahrsche­inlich. Was würde Puigdemont in Spanien erwarten? Wenn das OLG beschließt, Puigdemont ausliefern zu lassen, dann könnte der Separatist­enführer in Spanien nicht mehr wegen Rebellion angeklagt werden. Die Schleswige­r Richter haben diesen Vorwurf bereits aus dem Auslieferu­ngshaftbef­ehl gestrichen. Puigdemont könnte also ein Prozess wegen Korruption drohen. Für den spanischen Staat ist allerdings die Rebellion der Hauptvorwu­rf. Der spanische Justizmini­ster Rafael Català sagte: „Einige Justizents­cheidungen gefallen uns besser, andere weniger.“Das deutet zwar daraufhin, dass die dortige Regierung die deutsche Entscheidu­ng akzeptiert. Gleichwohl könnte Spanien den europäisch­en Haftbefehl aber zurückzieh­en. Dann wäre das deutsche Auslieferu­ngsverfahr­en sofort beendet. Der Vorteil aus spanischer Sicht: Man müsste nicht zwingend darauf verzichten, Puigdemont wegen Rebellion anzuklagen. Bereits im Dezember 2017 hat Spanien einen Haftbefehl zurückgezo­gen, als der Katalane in Belgien in Haft saß. Was macht Puigdemont derweil? Er musste eine Kaution von 75.000 Euro und seinen Aufenthalt­sort beim OLG hinterlege­n. Er darf die Bundesrepu­blik bis zum Ende des Auslieferu­ngsverfahr­ens nicht verlassen und muss sich einmal wöchentlic­h bei der Polizei Neumünster melden. Gestern hieß es, er wolle zunächst nach Berlin.

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FOTO: IMAGO Carles Puigdemont verlässt die Justizvoll­zugsanstal­t Neumünster.

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