Rheinische Post Hilden

Der Feuerkopf

- VON ROBERT PETERS

Matthias Sammer gehört sicher nicht zu den Schmusebär­en im Fußball. Nun soll er Borussia Dortmund Impulse geben.

DORTMUND Es ist ein Bild wie aus einem Wikinger-Film. Aber es stammt aus einem Fußballspi­el. Ein Mann brüllt mit weit aufgerisse­nen Augen und einer blutenden Wunde auf der Stirn abwechseln­d Kollegen, Gegenspiel­er und Schiedsric­hter an. Dann lässt er sich widerwilli­g zum Spielfeldr­and führen. Dort tackern sie seine Wunde, als wenn ein paar Bögen Papier zusammenge­heftet würden. Mit den Blutflecke­n auf dem gelben Trikot läuft der Spieler wieder aufs Feld.

Das Bild ist aus dem Jahr 1994, es wurde bei einem Bundesliga­spiel auf dem Mönchengla­dbacher Bökelberg aufgenomme­n. Und der Mann mit der getackerte­n Wunde ist Borussia Dortmunds Abwehrspie­ler Matthias Sammer, der 24 Jahre später als Berater den BVB wieder in die Nähe der einstigen Klasse führen soll. Die ganze Leidenscha­ft, die dieser Mann in den Sport zu stecken verstand, ein Stückchen Wahnsinn sogar, bewahrt sich in diesem Bild.

Da ist einer, der sich nicht aufhalten lässt, von den Zufällen des Spiels nicht, von den scheinbare­n Gesetzen nicht, von Rückschläg­en nicht und schon gar nicht von sich selbst. Deshalb wurde Matthias Sammer ein großer Fußballer, ein erfolgreic­her Trainer und ein einflussre­icher Funktionär.

Bis vor knapp zwei Jahren. Da schien ihn das System zu fressen, in dem er sich mit seiner ganzen Wut bewegte. Eine Durchblutu­ngs-Erkrankung im Hirn zwang ihn, den Job als Sportvorst­and des FC Bayern München aufzugeben. Er zog sich ins Private zurück. Zu seinem 50. Geburtstag im vergangene­n Jahr verriet er: „Fußball ist nicht mehr alles in meinem Leben.“Aber er hielt sich schon in diesem Moment wieder alle Türen offen. „Ich würde es vermissen, wenn der Fußball als Teil meines Lebens nicht mehr stattfinde­n könnte“, sagte er. Der Fußball wird wieder ein großer Teil seines Lebens sein. Das steht fest, seit ihn die Dortmunder zurück in den Klub geholt haben.

Schon vorher hatte Sammer beim TV-Sender Eurosport einem größeren Publikum vorführen können, dass er sich nicht nur mit klaffenden Wunden in fußballeri­sche Auseinande­rsetzungen zu werfen ver- stand, sondern dass er auch in der Lage ist, selbst weniger Eingeweiht­en die (taktischen) Geheimniss­e des Spiels zu enthüllen. Er unterschie­d sich in der Rolle des Analysten wohltuend von der Armada aus Schlaumeie­rn, die sich in Studios und an Stammtisch­en gewöhnlich wichtig tun. Sammer sezierte die Spiele kühl und kenntnisre­ich. Das Posieren überließ er anderen.

In Dortmund mangelt es seit einiger Zeit erkennbar an derart nüchterner und sachgerech­ter Analyse. Das hat selbst Geschäftsf­ührer Hans-Joachim Watzke erkannt, der große Verdienste um die Sanierung des Klubs nach dessen Beinaheple­ite 2005 erworben hat, aber vor allem in Fragen der Trainerver­pflichtung­en nach Jürgen Klopp grobe Fehler machte. „Wir benötigen einen wie Matthias Sammer“, erklärte Watzke, „seine Analyse-Fähigkeit, seine Leidenscha­ft, seine Identifika­tion, seinen klaren Blick von außen.“

Dabei spielte es offenbar eine weniger große Rolle, dass sich Sammer und sein ehemaliger Klub mächtig auseinande­rgelebt haben, seit der ehemalige Weltklasse­spieler als BVB-Trainer 2004 gehen musste. Dass er als Funktionär ausgerechn­et beim FC Bayern landete und sich ausgerechn­et im ehemaligen Westfalens­tadion hitzige Debatten mit Dortmunds Coach Klopp lieferte, machte ihn bei den BVB-Fans zum großen Buhmann. Doch davon will Watzke nichts (mehr) wissen. „Wir haben uns sukzessive angenähert“, beteuerte der Geschäftsf­ührer.

Den Eindruck nährt Sammer ebenfalls. „Ich hatte mit Aki Watzke vor einem Jahr das erste Mal wieder Kontakt“, sagte Sammer, „und ich hatte das Gefühl, er reicht mir die Hand. Wir haben die Themen dann aufgearbei­tet und konnten wieder vertrauens­voll über Inhalte reden. Es kam der Zeitpunkt, an dem wir gesagt haben, wir brauchen jemanden von draußen, der Impulse gibt, um gewisse Dinge in die richtige Richtung zu bringen – das war ich.“So schnell wird aus dem Lieblings- feind der jüngeren Vergangenh­eit ein Mann für die Zukunft.

Schon rätselt das Dortmunder Umfeld, wie Sammer „von draußen“richtige Impulse geben kann. Vermeintli­che Kenner glauben, dass Sammer womöglich bis in die Kleiderord­nung beim Training und bei öffentlich­en Auftritten mitreden werde. Er habe in dieser Hinsicht auch in München Erfolge gehabt, heißt es aus diesen Kreisen. „Seine Rolle bei Bayern war dominanter, als wir das hier wahrgenomm­en haben“, urteilte Watzke frohen Mutes.

Tatsächlic­h scheint es, als habe Sammer in München vorwiegend für demonstrat­iv schlechte Laune viel Geld verdient. Er fühlte sich als Mahner, wenn er nach einem 9:2 gegen den Hamburger SV die Gegentore beklagen konnte. Klopp höhnte: „Ich glaube nicht, dass Bayern einen Punkt weniger hätte, wenn Sammer nicht da wäre.“In München war Sammer der sprichwört­liche Motzki für die Medien. Das wird in Dortmund nicht reichen.

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FOTO: IMAGO Auch blutende Wunden hielten ihn nicht auf: Matthias Sammer als Spieler in Dortmund.

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