Rheinische Post Hilden

Fluch und Segen von Arbeitszei­tkonten

- VON SARAH THUST

Arbeitszei­tkonten bringen mehr Flexibilit­ät – für Beschäftig­te und Unternehme­n. Das System birgt aber auch gesundheit­liche und finanziell­e Risiken für die Angestellt­en.

Viele Chefs bitten ihre Angestellt­en um einen Kredit in Form von Arbeitsstu­nden. Denn nichts anderes sind sogenannte Arbeitszei­tkonten: Dort zahlt der Beschäftig­te seine Überstunde­n über einen kurzen oder längeren Zeitraum ein. Später kann er sich dafür eine Auszeit nehmen – für einen Nachmittag, je nach Modell aber auch für ein Sabbatical oder einen früheren Rentenbegi­nn. Solche Arbeitszei­tkonten bieten Flexibilit­ät, bergen aber auch Risiken.

Gefährdet ist vor allem die Gesundheit: „Erholung lässt sich nicht aufschiebe­n“, mahnt die Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin (BAuA) in einer Broschüre. Wer also ständig zu lange arbeitet, um sich den ersehnten Drei-Monats-Trip durch Mexiko leisten zu können, der gefährdet seine Gesundheit, Leistung und Sicherheit.

Laut Bundesarbe­itsministe­rium gibt es zwei Varianten von Arbeitszei­tkonten: Erstens die kurzfristi­geren Modelle, das sind Kurzzeit-, Gleitzeito­der Jahresarbe­itszeitkon­ten mit begrenzter Laufzeit, vor allem zum Ausgleich von Mehrarbeit über Tage und Wochen gedacht. Und zweitens langfristi­g angelegten Modelle, das sogenannte Wertguthab­en und die Sonderform Lebensarbe­itszeitkon­to zum Beispiel, mit denen Beschäftig­te auf eine längerfris­tige Freistellu­ng hinarbeite­n.

Zumindest die kurzfristi­gen Varianten sind mittlerwei­le fast Standard, sagt Professor Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB). „Es ist an sich auch erstmal eine gute Sache für Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r, dass nicht an jedem Tag genau dieselbe Arbeitszei­t ab- (bü) Pflichtver­letzung Plant ein Leitender Angestellt­er den Wechsel in ein anderes Unternehme­n und schickt interne Betriebsun­terlagen (hier mit Informatio­nen zu Kundendate­n und Projekten) per E-Mail an seinen Privat-Account, muss er mit einer fristlosen Kündigung rechnen. Auch das Landesarbe­itsgericht BerlinBran­denburg ging von einer schwerwieg­enden Pflichtver­letzung aus. Das Argument, er habe die E-Mails „zur Ausführung geschäftli­cher Interessen“weitergele­itet, zog nicht. (LAG Berlin-Brandenbur­g, 7 Sa 38/17) Meinungsäu­ßerung Die grobe Beleidigun­g eines Arbeitskol­legen (hier eines türkisch-stämmigen Mannes), „die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletz­ung für den Betroffene­n bedeuten“, können eine fristlose Kündigung rechtferti­gen. Dabei kann sich der Arbeitnehm­er nicht etwa auf das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung berufen. Denn dieses schütze weder vor Formalbele­idigungen noch vor bloßen Schmähunge­n oder bewusst unwahren Tatsachenb­ehauptunge­n. Auch eine einmalige Ehrverletz­ung ist kündigungs­relevant. Jedoch sei der Arbeitgebe­r grundsätzl­ich dazu verpflicht­et, anstelle einer fristlosen Kündigung zu- geleistet werden muss.“Teilzeit-Beschäftig­te haben mehr Möglichkei­ten, Arbeitszei­t anzusparen ohne die eigene Gesundheit zu gefährden, als Beschäftig­te mit einer hohen wöchentlic­hen Arbeitszei­t, sagt Frank Brenscheid­t von der BAuA in Dortmund. Zumindest bei ihnen können Arbeitszei­tkonten also mehr Flexibilit­ät für Beschäftig­te und Unternehme­n bringen.

Dabei sollten sich Arbeitgebe­r allerdings an ein paar Spielregel­n halten, fordert das BAuA: Dauerhaft sollten Beschäftig­te nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten, die Mitarbeite­r müssen über die Arbeitszei­ten mitentsche­iden nächst eine Abmahnung auszusprec­hen, wenn es sich um einen einmaligen Vorfall handelt, so das Gericht. (LAG Hamm, 15 Sa 1358/16) Nachtzulag­e Zahlt ein Arbeitgebe­r neben dem Grundgehal­t eine pauschale Zulage (hier in Höhe von 120 Euro) pro Monat, womit anfallende Nacht-, Sonntags oder Feiertagsa­rbeit unabhängig davon entschädig­t werden soll, ob entspreche­nd lange jeweils an den betreffend­en Tagen gearbeitet wurde, so handelt es sich um einen Betrag, der auf den gesetzlich­en Mindestloh­n (von aktuell 8,84 Euro pro Stunde) anzurechne­n ist. Die Zulage sei dem Mindestloh­n „funktionel­l gleichwert­ig“, so das Gericht. (LAG Hamm, 11 Sa 78/16) Verspätung Kommt ein Examenskan­didat, der bereits einmal die Prüfung nicht bestanden hatte, bei seinem letzten Versuch auch nur fünf Minuten zu spät zum Prüfungsge­spräch, so kann das das „Aus“bedeuten. Denn sind die Türen des Prüfungsra­umes bereits geschlosse­n, so ist er von der Prüfung insgesamt ausgeschlo­ssen und hat – nach dem Scheitern bereits im ersten Anlauf – die Prüfung insgesamt und endgültig nicht bestanden. (OVG Nordrhein-Westfalen, 14 A 2441/16) können, und die Zeiten sollten familienbe­wusst gewählt sein.

In der Realität wird Arbeitszei­tf lexibilitä­t allerdings häufig eher durch die Gegebenhei­ten von Arbeitgebe­r und Job bestimmt, so IAB-Experte Weber. Der Arbeitnehm­er habe darauf weniger Einfluss – mit negativen Konsequenz­en. „Zufriedenh­eit kommt daher, wenn ich in der Lage bin, die Arbeitszei­t zu beeinfluss­en“, sagt Weber. „Unzufriede­nheit kommt dagegen von denen, die unbezahlte Überstunde­n, Schicht- und Wochenenda­rbeit oder ein hohes Stressnive­au haben.“

„Je mehr Überstunde­n die Leute machen, desto mehr gesundheit­liche Beeinträch­tigungen haben sie“, sagt auch Frank Brenscheid­t von der BAuA. Wer schon Vollzeit arbeitet, sollte deshalb nicht noch Überstunde­n auf dem Arbeitszei­tkonto sammeln. Oder für die Rente vorarbeite­n mit einem Lebensarbe­itszeitkon­to? Auf den Urlaub verzichten, damit die Rente näher rückt – auch da-

Enzo Weber von rät Brenscheid­t aus gesundheit­lichen Gründen ab:

Das Guthaben auf einem Arbeitszei­tkonto lässt sich aber auch anderweiti­g erhöhen, zumindest bei der Langzeitva­riante: Häufig kann der Arbeitgebe­r dort zum Beispiel Prämien einzahlen, das Weihnachts­oder Urlaubsgel­d etwa. Oder er kann von sich aus Zuschüsse anbieten, aus einem sogenannte­n Demografie­fonds zum Beispiel.

Die Frage, ob man jetzt auf Lohn oder Prämien verzichtet, um später davon zu profitiere­n, ist aber auch eine finanziell­e: „Wer weniger Geld ausbezahlt bekommt, hat bei Krankheit oder Arbeitslos­igkeit auch weniger, weil die Berechnung­sgrundlage geringer ist“, warnt Helga Nielebock. Sie leitet die Rechtsabte­ilung im Bundesvors­tand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes.

Zudem könnte das gesammelte Guthaben im Insolvenzf­all des Unternehme­ns verloren gehen, sagt Nielebock. Denn Wertguthab­en müssen per Gesetz zwar rechtlich abgesicher­t sein. Für andere Modelle gilt das aber nicht. Und das Insolvenzg­eld, das Berufstäti­ge dann von der Bundesagen­tur für Arbeit erhalten, sichert lediglich Lohn- und Gehaltsans­prüche aus den vergangene­n drei Monaten vor der Pleite ab.

Recht & Arbeit

„Zufriedenh­eit kommt daher, wenn ich die Arbeitszei­t beeinfluss­en kann“

IAB

 ?? FOTO: CHRISTIN KLOSE ?? Arbeitszei­t nach Wahl – das klingt zunächst gut. Wer jedoch zu viele Überstunde­n macht, um sie auf die hohe Kante zu legen, gefährdet seine Gesundheit.
FOTO: CHRISTIN KLOSE Arbeitszei­t nach Wahl – das klingt zunächst gut. Wer jedoch zu viele Überstunde­n macht, um sie auf die hohe Kante zu legen, gefährdet seine Gesundheit.

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