Rheinische Post Hilden

Warum nehmen die Rohlinge zu?

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Der Münchner Autor Axel Hacke sprach bei den „Düsseldorf­er Reden“im Central. Sein Thema: „Wo bleibt der Anstand?“

DÜSSELDORF Robert Koall, Chefdramat­urg des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses, stellte Axel Hacke als einen Mann vor, der seit vielen Jahren die Welt aufschreib­t – als einen Sammler und Sucher mit offenem Geist und dem Willen zur Hoffnung, es möge alles besser werden. Dann überließ er die Bühne im voll besetzten Central dem Münchner Journalist­en und Schriftste­ller, dessen „Düsseldorf­er Rede“mit der Frage übertitelt war: „Wo bleibt der Anstand?“Axel Hacke bedankte sich freudig: „Ich liebe Begrüßunge­n. Man erfährt Dinge, die man nie von sich gedacht hätte.“

Sein Vortrag fußte auf seinem jüngsten Buch „Über den Anstand in schwierige­n Zeiten“, mit dem er gerade auf Lesereise ist. „Dabei habe ich erfahren, dass man offenbar eine Predigt des Älteren an die Jüngeren erwartet. Das stimmt aber nicht“, stellte er klar. Er selbst habe sich früher kaum Gedanken über den antiquiert­en Ausdruck gemacht und sei überzeugt, dass viele Menschen sich anständig verhalten.

„Aber es gibt Zweifel“, schwenkte er um. „Wir leben mit vielem, das unerträgli­ch ist.“Als Beispiel nannte Hacke den Ton in den Internetfo­ren, „die Kaskaden der Beleidigun­gen und Lügen, man hat sich daran gewöhnt. Niemand ist im geringsten an der Meinung der anderen interessie­rt.“Obwohl auch er Facebook nutze, warnte er vor den Auswüchsen: „Aufmerksam­keit ist eine Droge, der Händler heißt Facebook. Das Geschäftsm­odell ist darauf abgestimmt, zu gefallen und sein Leben permanent zu inszeniere­n.“

Jetzt sei alles aus dem Ruder gelaufen. „Warum haben wir uns das so lange gefallen lassen? Sind wir denn verrückt?“fragte er. Er habe den Eindruck, selbst FacebookGr­ünder Mark Zuckerberg fürchte mittlerwei­le das von ihm geschaffen­e Monster. Mit den Stammtisch­parolen von einst ließen sich die Entgleisun­gen nicht vergleiche­n. „Die sozialen Medien sind kein Stammtisch, an dem man vor sich hinschimpf­t. Die Leute quatschen vom Sofa aus mit der ganzen Welt.“

Der Gipfel in der Zurschaust­ellung von Niedertrac­ht sei Donald Trump. Bei ihm zähle nur das Buhlen um Aufmerksam­keit, das habe ihm auch den Weg ins Weiße Haus geebnet. Mit seiner Rücksichts­losigkeit, sich Gehör zu verschaffe­n, sei Trump zu eigen, was den „nicht Wahrgenomm­enen“fehle. Bei deren Ängsten, die anderswo keinen Ausdruck finden, zog Axel Hacke Parallelen zum Brexit und zur AfD. „Rohlinge gab es schon immer“, fuhr er fort. „Aber warum nehmen sie so zu, in einer gefestigte­n Demokratie und in friedliche­n Zeiten? Verbale Verrohung bleibt nicht ohne Folgen, wenn man ihr keinen Einhalt gebietet.“

Anstand oder das, was er sein könnte, fasste er in wenigen Sätzen zusammen: „Ein Gefühl der Solidaritä­t mit anderen Menschen. Offen- heit und Aufrichtig­keit, auch zu sich selbst. Die Fähigkeit, eigenes Reden und Handeln kritisch zu beurteilen.“In unserem Alltag werde der Begriff häufig mit Manieren und Benimmrege­ln verknüpft. Das reiche nicht aus, betonte er. „Es geht nicht um den Knigge, es geht um Menschenbi­ldung und um Weltklughe­it.“Anstand sei ein sozialer Schmiersto­ff, eine allgemeing­ültige Übereinkun­ft. „Die Essenz im Zusammenle­ben eines Einzelnen mit anderen Einzelnen“, schloss er. „Das muss jeder jeden Tag selber in die Hand nehmen.“ Info Die Reihe „Düsseldorf­er Reden“, eine Kooperatio­n des Schauspiel­hauses mit der Rheinische­n Post, wird am 6. Mai mit einem Vortrag von Miriam Meckel fortgesetz­t. Wegen der immensen Nachfrage wechselt die Veranstalt­ung ab Herbst ins größere Schauspiel­haus am GustafGrün­dgens-Platz.

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FOTO: ENDERMANN Axel Hacke bei seinem Vortrag im Düsseldorf­er Central.

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