KULTURTIPPS
Die Poesie der Landschaften Italiens
Roman Esther Kinsky hat ein neues Buch geschrieben, es heißt „Hain“, und die Autorin nennt es einen „Geländeroman“. Selten sind italienische Landschaften und Menschen so genau und poetisch beschrieben worden. In drei Erzählabschnitten führt „Hain“in ein Italien abseits der verklärten Kunst- und Reiseziele wie Florenz oder Venedig. Handlungsort ist etwa das Örtchen Olevano Romano in den Hügeln nordöstlich von Rom. Es ist eins der drei Reiseziele der Ich-Erzählerin, die um ihren jüngst verstorbenen Lebensgefährten trauert. Sie liest die sie umgebende Landschaft, beschreibt detailreich, was sie sieht, hört, riecht und fühlt. Erinnerungen und Vorstellungen verschmelzen dabei, die äußere Landschaft wird zum Spiegel der inneren. Esther Kinskys Thema, die Erfassbarkeit der Wahrnehmung durch Sprache, gelingt ihr in „Hain“eindrucksvoll. Im März hat der Roman den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. lhen Esther Kinsky: „Hain“, Suhrkamp, 287 Seiten, 24 Euro.
Viele Werke hat Lili Boulanger, die ja nur 24 Jahre alt wurde, der Nachwelt nicht hinterlassen. Um so höher ist der Wert einer neuen CDProduktion aus dem Carus-Verlag anzusehen, die eine Sammlung ihrer Chorwerke bietet, darunter die einnehmend schöne „Hymne au Soleil“. Boulangers Tonsprache ist reif, harmonisch sehr expressiv und überhaupt nicht schüchtern. Selbst in ihren Psalm-Vertonungen zieht sie alle Register. Ihre Art, den Impressionismus der damaligen Zeit anzuwenden und doch in tonaler Ordnung zu bleiben, ist sehr individuell und sehr persönlich.
Das von Michael Alber geleitete Orpheus Vokalensemble, ein professioneller, international besetzter Kammerchor aus Baden-Württemberg, singt diese Musik mit exzellentem Gespür für ihren exquisiten Zauber. Deklamation, Intonation, Ausdruck: Alles wird hier auf hohem Niveau realisiert. Am Klavier ist Antonii Baryshevskyi ein glänzender, subtiler Begleiter. Wolfram Goertz