Rheinische Post Hilden

Orbán zum Vierten

- VON RUDOLF GRUBER

Ungarns Premier gewinnt die Wahl überrasche­nd deutlich. Die Opposition liegt in Trümmern.

BUDAPEST Schon am ersten Tag nach der ungarische­n Parlaments­wahl hat Regierungs­chef Viktor Orbán klargemach­t, dass er von seinem Kurs nicht abrücken will. Bereits im Mai werde das neue Parlament das geplante, verschärft­e Gesetz über Nichtregie­rungsorgan­isationen beschließe­n, sagte Orbáns Fraktionss­precher. Es zielt vor allem auf die Stiftung des US-Milliardär­s George Soros und das Helsinki-Komitee: Demnach müssen Flüchtling­shelfer beim Innenminis­terium eine Lizenz beantragen und ihre Finanzieru­ng offenlegen; andernfall­s machen sie sich künftig strafbar, und ihnen droht die Schließung.

Orbán fühlt sich durch seinen überrasche­nden Wahlsieg voll bestätigt. Die Meinungsfo­rscher hatten selbst für ungarische Verhältnis­se weit danebengel­egen. Auch die rekordverd­ächtige Wahlbeteil­igung von fast 70 Prozent hatten viele Beobachter nicht erwartet.

Zu Fehlschlüs­sen wie dem, es stehe ein „Aufstand gegen Orbán“bevor, kam es vor allem, weil sämtliche Analysen eine höhere Wahlbeteil­igung im Vergleich zu 2014 als Nachteil für Orbáns rechtsnati­onale Fidesz gedeutet hatten. Sogar die absolute Mehrheit für Orbáns Partei schien in Gefahr; eine Zweidritte­lmehrheit schien völlig ausgeschlo­ssen. Und doch scheint es jetzt genau darauf hinauszula­ufen.

Fernsehbil­der von Menschensc­hlangen vor Wahllokale­n hatten die Hoffnungen der Opposition auf einen politische­n Wechsel noch genährt; in der Hauptstadt Budapest musste der Wahlschlus­s um mehrere Stunden verschoben werden, damit möglichst alle ihre Stimmen abgeben konnten.

Die ersten konkreten Zahlen belegten dann das glatte Gegenteil: All die zusätzlich­en Wähler waren für Orbán aufmarschi­ert. Die Opposition liegt, mit Ausnahme leichter Gewinne von Kleinparte­ien, buchstäbli­ch zertrümmer­t am Boden. „Ungarn hat heute einen großen Sieg errungen“, triumphier­te Orbán noch in der Nacht vor jubelnden Anhängern in Budapest. Mobilisier­ungsmotor war allein seine Botschaft: Ich oder das Migrantenc­haos. Orbán sprach von einer „Schicksals­wahl“für Ungarn. Die scharfen Töne gegen Flüchtling­e, die EU und die Opposition haben offenbar Wirkung gezeigt: Millionen von Ungarn, vor allem auf dem Land, hören seit Jahren nichts anderes als das, was staatlich kontrollie­rte Medien wie Fernsehen, Radio und regie- rungsfreun­dliche Lokalmedie­n berichten und kommentier­en.

So haben Fidesz und ihr christdemo­kratisches Anhängsel KDNP – das nie als eigenständ­ige Partei antritt – deutlich zugelegt: nach vorläufige­n Ergebnisse­n um rund 4,5 Punkte auf knapp 49 Prozent. Damit scheint die Zweidritte­lmehrheit der Sitze zum dritten Mal seit 2010 gesichert. Orbán könnte die Verfassung weiter im Alleingang ändern. Es wird seine vierte Amtszeit sein.

Der Misserfolg sowohl der linken als auch der rechten Opposition­sparteien liegt daran, dass sie keine klaren Botschafte­n anzubieten hatten. „Orbán muss weg“reichte offenbar nicht. Die Opposition muss sich komplett neu aufstellen, in erster Linie die postkommun­istische MSZP: Der junge Hoffnungst­räger Gergely Karácsony, Parteichef Gyula Molnár und der gesamte Vorstand traten noch in der Nacht zurück. Dass die MSZP nach Stimmenant­eilen halbiert wurde, liegt nicht an dem Neuling Karácsony, sondern eher an den erstarrten Strukturen und der tiefen Glaubwürdi­gkeitskris­e, aus der die Sozialdemo­kraten seit Jahren nicht herausfind­en.

Ausgerechn­et Ex-Premier Ferenc Gyurcsány, der die MSZP vor zwölf Jahren in die Krise gestürzt hatte, schnitt von allen Opposition­spolitiker­n am besten ab: Seine linke „Demokratis­che Koalition“schaffte erstmals den Einzug ins Parlament. Gyurcsány hatte im Mai 2006 in einer Rede vor sozialisti­schen Parteigrem­ien mit zynischer Kälte erläutert, Wähler würden regelmäßig belogen, um Wahlen zu gewinnen.

Bemerkensw­ert ist die Niederlage der einstigen rechtsextr­emen Jobbik-Partei: Deren langjährig­er Chef Gabor Vona trat ebenfalls zurück, weil er das Ziel, „die Wahlen zu gewinnen und einen Wechsel herbeizufü­hren“, weit verfehlt hat. Seine Strategie, der Partei ein gemäßigtes Profil zu geben, um sich von Orbáns nationalis­tischem Anti-EU-Kurs zu unterschei­den, hat nicht verfangen. Jobbik hat praktisch nichts dazugewonn­en, ist aber trotzdem zweistärks­te Kraft im Parlament.

Den Einzug schafften auch die nationalli­beralen Grünen. Doch die neuen Kleinparte­ien, die als Zeichen einer lebendigen Demokratie gegolten hatten, scheiterte­n an der Fünf-Prozent-Hürde, allen voran die Jugendbewe­gung Momentum. Dabei hatten ihr junger Chef András Fekete-Györ und seine Freunde Anfang 2017 noch über Orbán triumphier­t, als sie die Olympia-Bewerbung für 2024 per Unterschri­ftensammlu­ng zu Fall brachten.

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