Rheinische Post Hilden

Gegen das Diktat der Dünnen

- VON JULIA NAUE

Dicke Menschen müssen sich im Alltag oft mit Vorurteile­n herumschla­gen. Magda Albrecht kennt dies aus eigener Erfahrung. Die 31-Jährige hat ihre Erfahrunge­n aufgeschri­eben, um anderen zu helfen, ihren Körper zu akzeptiere­n.

BERLIN (dpa) Als Magda Albrecht ein Kind war – so um die fünf Jahre alt –, sagte ihr eine Ärztin: „Du bist zu dick, du musst mehr Sport machen.“Dabei war Albrecht ein sportliche­s Kind, erzählt sie. „Aber eben ein dickes sportliche­s Kind.“Auch ihre Klassenkam­eraden gaben ihr das Gefühl, dass mit ihr etwas nicht stimme – und ärgerten sie. Oder um es deutlicher zu sagen: „Ich bin von Kindheit an diskrimini­ert worden.“Lange Zeit suchte die heute 31-Jährige den Fehler bei sich. „Ich hab meinen Körper immer als den ultimative­n Makel gesehen und das auch nicht hinterfrag­t.“

Magda Albrecht ist auch heute noch, was man gemeinhin als dick bezeichnen würden. Für sie ist das kein Problem. Für viele andere offenbar schon. Body Shaming nennt sich das, derzeit häufig ein Schlagwort für das Phänomen. Es bedeutet, dass Menschen aufgrund ihres Körpers – wörtlich – beschämt werden. Das trifft häufig Dicke. Einer DAK-Studie zufolge finden 71 Prozent der Erwachsene­n in Deutschlan­d Fettleibig­e unästhetis­ch, 38 Prozent denken das über Dicke.

Albrecht hat mittlerwei­le ein Buch („Fa(t)shionista – Rund und glücklich durchs Leben“) über ihre Erfahrunge­n geschriebe­n. Damit will sie anderen auch helfen, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen. „Nicht der Körper ist verkehrt, sondern gesellscha­ftliche Normen, die Körper in ,gut’ und ,schlecht’, ,schön’ und ,hässlich’ einteilen“, betont sie.

„Die Stigmatisi­erung von Übergewich­tigen ist ein großes Problem“, sagt Professori­n Martina de Zwaan, Präsidenti­n der Deutschen Adipositas-Gesellscha­ft. „Menschen, die diskrimini­ert werden, beginnen sich selbst zu diskrimini­eren“, erklärt sie. Das führe dazu, dass sie glauben, nicht glücklich sein zu können, solange sie dick sind. Sie definieren sich dann fast ausschließ­lich über ihren Körper.

Dass ihr Gewicht immer ein Thema ist, musste etwa die Politikeri­n Ricarda Lang erfahren. „Egal, wozu ich mich äußere – Lohngleich­heit, Kinderarmu­t oder Kohlekraft: Ich bekomme als Antwort Kommentare zu meinem Äußeren“, schrieb die Sprecherin der Grünen Jugend im Januar im „Spiegel“-Jugendmaga­zin „Bento“. „Warum nehmen sich diese Fremden raus, mir ungefragt Tipps zu geben? Ist es so schwer zu verstehen, dass es weder ihre Aufgabe noch ihr Recht ist, meinen Körper zu kommentier­en?“, fragt sie. In den sozialen Netzwerken ist sie regelmäßig üblen Beleidigun­gen ausgesetzt.

Dicke müssen sich im Alltag mit Vorurteile­n und Ausgrenzun­g rumschlage­n: Dass füllige Menschen Nachteile im Job haben, zeigt etwa eine Studie der Universitä­t Tübingen aus dem Jahr 2012. Die Wissenscha­ftler kommen zu dem Ergebnis, dass Personaler dickeren Menschen fast nie einen Job mit hohem Presti- ge zutrauen. Für eine Abteilungs­leiterstel­le wurden sie ebenfalls selten ausgewählt. Besonders betroffen waren demnach Frauen von den Vorurteile­n.

Auch Magda Albrecht ist sich sicher, dass es Frauen häufiger trifft, „wenn man bei binären Geschlecht­eridentitä­ten bleibt“. Die Standards mit Blick auf das Äußere seien bei Frauen einfach stärker gesetzt als bei Männern. „Bei Männern wird so ein kleiner Bauch noch als sozial legitim angesehen“, sagt sie. Und diese Standards werden täglich vorgelebt – besonders auch in den Medien: In der aktuellen Staffel „Germany’s Next Topmodel“schämen sich dünne Mädchen für ihre Kurven – weil andere noch dünner sind. Klatschzei­tschriften analysiere­n die „Figurprobl­eme

der Stars“ und vermuten hinter jedem ExtraKilo gleich eine Schwangers­chaft oder Depression.

Doch warum werden immer wieder gerade dicke Menschen diskrimini­ert? Lotte Rose und Friedrich Schorb werfen einen wissenscha­ftlichen Blick auf das The- ma. In einem von ihnen veröffentl­ichten Buch über „Fat Studies in Deutschlan­d“notieren sie, dass dicke Menschen zu einer „gesellscha­ftlichen Belastung“erklärt werden. Sie würden bedrängt, ihr Körpergewi­cht zu ändern. „Diese Zugriffe erscheinen legitim, fürsorglic­h und verantwort­ungsvoll gegenüber den betroffene­n Menschen“, schreiben sie. Doch sind sie das wirklich?

„Viele meinen, das Gewicht lasse sich leicht kontrollie­ren“, sagt de Zwaan. Ein bisschen mehr Bewegung, ein bisschen gesünder essen – dann wird das schon. Wer das nicht schafft, hat – scheinbar – keine Selbstbehe­rrschung, ist selbst schuld und schwach. Doch ganz so einfach ist das nicht. Warum jemand dick ist, kann ganz unterschie­dliche Gründe haben. Und: „Unsere Biologie sagt uns immer noch: Wenn Essen da ist, bitte essen“, erklärt die Fachärztin für Psychosoma­tische Medizin und Psychother­apie aus Hannover. Um abzunehmen, brauche es einen enormen Willen – und um das Gewicht dann zu halten, noch viel mehr.

Natürlich können zu viele Kilos auch Gesundheit­srisiken bergen. Deshalb – so de Zwaan – sei es als dicker Mensch zumindest sinnvoll, nicht weiter zuzulegen. Aber sie fordert auch: „Die Menschen sollen mit ihrem Körper zufrieden sein, auch wenn er nicht perfekt ist.“Das fällt besonders schwer, wenn andere sie auf ihr Gewicht reduzieren, sie stigmatisi­eren.

Autorin Magda Albrecht wünscht sich vor allem, dass in der gesellscha­ftlichen Debatte nicht nur über Risikofakt­oren für Dicke gesprochen wird, die auf teils „wackeligen Studien“beruhen. Stattdesse­n sollte allen ermöglicht werden, vorurteils­frei zu leben. Denn Diskrimini­erung führe am Ende zu Stress – und der bedeute ein hohes Gesundheit­srisiko.

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FOTO: ULLSTEIN Magda Albrecht

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