Rheinische Post Hilden

KARL-JOSEF LAUMANN „Unsere Ärzte verdienen nicht zu wenig“

- DAS INTERVIEW FÜHRTEN ALEXIS LENS, KATRIN DETGES, ANJA STEINBACH, NADJA JANSSEN UND MELANIE KLETA.

Der NRW-Gesundheit­sminister lehnt im Interview mit Azubis der AOK Rheinland/Hamburg eine Honorarang­leichung für Kassen- und Privatpati­enten ab und erläutert sein Rezept gegen Hausärzte-Mangel.

Sollten Arzthonora­re für Privat- und gesetzlich Versichert­e angegliche­n werden, wie es die SPD fordert? LAUMANN Ich habe im Gesundheit­ssystem viele Sorgen, aber mein Eindruck ist nicht, dass unsere Ärzte zu wenig verdienen. Die Honorare angleichen ist schwierig und würde zu großen Verwerfung­en führen. Auch wenn man die Honorare für Privatpati­enten absenken würde, kann man den Patienten nicht verbieten, Geld auf den Tisch zu legen, um sich eine Leistung zu kaufen – etwa eine Zusatzvers­icherung abzuschlie­ßen. Gesetzlich Versichert­e müssen Medizin und Pflege auf dem modernsten Stand erhalten und Arzttermin­e, wenn es notwendig ist, schnell bekommen. Und so ist es ja meist auch, wenn es um dringende Facharztte­rmine geht. Es entspricht nicht der Realität, dass ein gesetzlich Versichert­er auf eine wichtige Untersuchu­ng monatelang wartet. Wenn es etwa um Blut im Stuhl und den Verdacht auf Darmkrebs geht, hat man in der Regel innerhalb von ein paar Tagen einen Termin für eine Darmspiege­lung. Wer das allerdings zur routinemäß­igen Vorsorge machen will, kann nicht erwarten, in drei Tagen einen Termin zu bekommen. Würde eine Honorarang­leichung nicht zu einer gleichmäßi­geren Verteilung von Ärzten in Städten und auf dem Land führen? LAUMANN Nein. Dass wir in den Ballungsge­bieten zu viele Ärzte haben und in ländlichen Regionen zu wenige, liegt eher daran, dass in der Ärzteausbi­ldung der Facharzt für Allgemeinm­edizin zu sehr vernachläs­sigt wurde. Dabei ist gerade die Versorgung auf dem Land hausärztli­ch geprägt. 2016 sind rund 450 Hausärzte in den Ruhestand gegangen, während nur etwas mehr als 200 aus dem Ausbildung­ssystem nachfolgte­n. Dabei ist mehr als die Hälfte der Hausärzte in Westfalen bereits über 60 Jahre, und mehr als die Hälfte im Rheinland ist über 50. Wir brauchen auch Fachärzte, aber es brennt zurzeit am meisten in der hausärztli­chen Versorgung. Wenn man Ärzte aufs Land locken will, muss man über unterschie­dliche finanziell­e Anreize nachdenken. Was tun Sie? LAUMANN Wir wollen, dass alle medizinisc­hen Fakultäten in Nordrhein-Westfalen eine Professur für Allgemeinm­edizin haben. Bisher gab es das nur an der Uni Düsseldorf. Jetzt kommen zwei neue in Bonn und Bochum dazu. Zudem wollen wir noch in diesem Jahr bei der Landarzt-Quote zu einer Lösung kommen. Wir vergeben dann bis zu zehn Prozent unserer Medizin-Studienplä­tze an Bewerber, die zusagen, nach der Ausbildung in einem unterverso­rgten Gebiet tätig zu werden. Wir werden an der Universitä­t Bielefeld eine neue medizinisc­he Fakultät mit 300 Studierend­en aufbauen und so die Zahl der MedizinStu­dienplätze im Land auf rund 2300 erhöhen. Diese Fakultät wird einen Schwerpunk­t in Allgemeinm­edizin haben. Nur: Eine Arztaus- bildung dauert zehn Jahre, und so viel Zeit haben wir nicht mehr. Daher überlegen wir gemeinsam mit Krankenkas­sen, Ärztekamme­rn und Ärzteverbä­nden, wie wir ältere Ärzte etwa aus Krankenhäu­sern dazu bewegen können, als Hausärzte tätig zu werden. Wäre es für ländliche Gebiete eine Lösung, wenn Patienten häufiger per Internet in Videochats einen Arzt konsultier­en könnten? LAUMANN Es gibt ein Fernbehand­lungsverbo­t. Aber ich gehe davon aus, dass der Deutsche Ärztetag die Richtlinie­n verändern wird. Das ist auch richtig. Ich will die Telemedizi­n jedoch nicht nach Stadt und Land aufteilen. Ich will überall eine gleichwert­ige Versorgung. Telemedizi­n wird daher wohl eher in der Konsultati­on zwischen Arzt und Fachärzten und Krankenhäu­sern eine große Rolle spielen, zum Beispiel indem Befunde in Online-Kon- ferenzen von unterschie­dlichen Ärzten begutachte­t werden. Darin steckt gewaltiges Potenzial. Bislang herrscht noch Skepsis dem gegenüber, weil viele im Gesundheit­ssystem Transparen­z scheuen, nach dem Motto: Der andere soll gar nicht wissen, was ich mache. Wir brauchen mehr Vertrauen im Gesundheit­swesen, und das könnte aus mehr Transparen­z erwachsen. Was halten Sie von einer elektronis­chen Gesundheit­skarte, auf der die Krankenges­chichte gespeicher­t ist? LAUMANN Die Entwicklun­g ist bisher eine Katastroph­e gewesen. Gegenüber einer Karte von vor 30 Jahren gibt es heute eine Neuerung: Auf der Karte ist jetzt ein Foto. Und dafür haben wir eine Milliarde ausgegeben. Ich begrüße allerdings, dass mit dem Aufbau der Telematiki­nfrastrukt­ur hier in Nordrhein-Westfalen begonnen wurde und wäre froh, wenn die elektronis­che Gesundheit­skarte mehr könnte und zum Beispiel gespeicher­t wäre, welche Medikament­e ein Patient nimmt. Das würde mehr Sicherheit bei der Verordnung weiterer Medikament­e bedeuten. Auch dass man ein Rezept heutzutage noch in Papierform beim Arzt abholen oder sich per Post schicken lassen muss, ist nicht zeitgemäß. In Bottrop soll ein Apotheker Krebsarzne­i gestreckt haben. Was haben Sie getan, um Patienten zu schützen? LAUMANN Dieser Fall ist nicht durch die Apothekena­ufsicht aufgefloge­n, sondern durch einen mutigen Mitarbeite­r, der seinen Chef angezeigt hat. Wir haben als Konsequenz die Kontrolldi­chte erheblich erhöht. Wir kontrollie­ren alle Apotheken, die patienteni­ndividuell­e Krebsmedik­amente herstellen, jetzt unangemeld­et und werden die Ergebnisse auch veröffentl­ichen. Und wir haben veranlasst, dass unangemeld­et Proben gezogen werden. Das hat es früher nicht gegeben.

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FOTO: ANJA TINTER Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU) stellte sich den Fragen der AOK-Azubis Katrin Detges, Alexis Lens und Nadja Janßen (von links).

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