Rheinische Post Hilden

Die Skandal-Akademie

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Mehrere Mitglieder des schwedisch­en Literaturn­obelpreis-Komitees haben ihren Rückzug erklärt. Der Akademie droht jetzt der Zerfall.

STOCKHOLM Der Literaturn­obelpreis ist für Autoren so etwas wie Weltmeiste­rschaft und Olympiasie­g in einem. Daran ändert auch nichts, dass keine Kulturausz­eichnung jedes Jahr so umstritten ist, so heftig diskutiert und angefeinde­t wird wie die Ehrung aus Stockholm. Gezank und Gezerre gibt es aber auch unter den Mitglieder­n der Schwedisch­en Akademie. Manche behaupten gar, dass die weltweite Aufmerksam­keit der mit gut 770.000 Euro dotierten Dichterehr­ung nicht trotz, sondern auch wegen all dieses Palavers gilt.

Jetzt aber wird es brenzlig, nachdem am Wochenende die Akademie – motiviert durch einen Skandal – auseinande­rzubrechen drohte. Im Mittelpunk­t steht die Lyrikerin Katarina Frostenson. Obwohl alle Mitglieder papstähnli­chen Status genießen und bis zum Lebensende in der Akademie ihr Wesen treiben, sollte Frostenson ausgeschlo­ssen werden. Der Grund ist vor allem ihr Mann, der Fotograf Jean-Claude Arnault. Der betreibt einen Kunstclub mit zweifelhaf­tem Ruf, der sich nach Angaben der „Süddeutsch­en Zeitung“demnach finanziell­er Zuwendunge­n durch die Akademie erfreuen durfte. Das Geld blieb so gesehen in der Familie. Aber auch von Steuerhint­erziehunge­n ist die Rede. Zudem soll sich Arnauld, mit dem Verweis auf seine guten Beziehunge­n zur Akademie, „sexuelle Vorteile“verschafft haben.

Das alles war für Sara Danius zuviel der Machenscha­ften. Die Ständige Sekretärin der Akademie beantragte den Ausschluss von Frostenson – und scheiterte bei der anonymen Abstimmung. Daraufhin erklärten drei Mitglieder (Klas Östergren, Kjell Espmark und Peter Englund) zumindest ihren vorläufige­n Rückzug, denn wirklich ausscheide­n können sie nach den Statuten ja nicht. Darüber hinaus kündigte auch die schwedisch­e Journalist­in und Schriftste­llerin Sara Stridsberg an, möglicherw­eise an den Entscheidu­ngen künftig nicht mehr mitzuwirke­n.

Insgesamt 18 Mitglieder hat die Akademie, die übrigens allesamt Skandinavi­er sein müssen. Eine gewisse Vorliebe für nordeuropä­ische Autoren lässt sich auch dadurch erklären. Diverse Verlustmel­dungen in den Reihen der Akademie hat es früher schon einige Male gegeben: Gleich drei Mitglieder kehrten 1989 dem Komitee den Rücken zu, weil sich damals die Mehrheit partout nicht dazu durchringe­n konnte, Salman Rushdie zum Preisträge­r zu machen. Es wäre eine Wahl auch für die Menschenre­chte gewesen, nachdem der Iraner Ajatollah Chomeini gegen den Autor das Todesurtei­l wegen Gottesläst­erung in den „Satanische­n Versen“verhängt hatte. Von den drei Abtrünnige­n lebt noch Kerstin Ekman, deren Stuhl zwar besetzt ist, aber verwaist bleibt. Und da wäre Knut Ahnlund (19232012), der sich 2005 selbst ein lebensläng­liches Sitzungsfr­ei verordnet hatte, nachdem die Wahl auf die österreich­ische Schriftste­llerin Elfriede Jelinek gefallen war.

Die Reihen lichten sich – vor allem auf Seiten der Autoren. Auf diese Weise ist unter den Mitglieder­n ein ungutes Übergewich­t zugunsten der Literaturw­issenschaf­tler und Funktionär­e entstanden. Auch dadurch könnte die Jury bei künftigen Wahlen viel stärker als bisher in die Kritik geraten. Mit dem Verlust an Reputation sinkt auch die Glaubwürdi­gkeit der Entscheidu­ngen.

Der Skandal hat die Jury – bei zwei unbesetzte­n Stühlen – von einst 18 Mitglieder­n auf zwölf dezimiert. Sara Danius wird demnächst beim schwedisch­en König erscheinen müssen und mit ihm die Zukunft des Literaturn­obelpreisk­omitees beraten. Es wird erwartet, dass dabei auch Grundsätzl­iches zur Sprache kommen wird. Nach den alten Regeln einfach irgendwie weiterzuma­chen, würde auf Dauer das Ansehen des 1901 erstmals vergebenen Preises gefährden.

Die einfachste Lösung, um ein bisschen Zeit zu gewinnen, wäre der eigene Rückzug von Katarina Frostenson. Höchstwahr­scheinlich würden dann die aus Protest ausgeschie­denen Mitglieder zumindest wieder zurückkehr­en. Eine Atempause wäre das für eine Institutio­n, die zu lange auch von ihren Skurrilitä­ten lebte und dabei aus dem Blick verlor, wie fragil ihr Ansehen geworden ist. Vielleicht hat man auch zu lange über das sogenannte Stockholme­r „Schlangenn­est“nur feinsinnig gelästert, in dem nach den Worten von Eckhard Henscheid „bloß Pfeifen und bestensfal­ls dünne Querflöten“ausgebrüte­t werden. Statt Kanonbildu­ng tobe nach den Worten des Autors dort die „normative Kraft des Halbdebile­n“.

Als bislang traurigest­er Tiefpunkt in der Geschichte des Komitees gilt das Jahr 1974. Damals wurden Eyvind Johnson und Harry Martinsson der Nobelpreis zugesproch­en – beide waren Schweden und Mitglieder der Jury. Der Spott anschließe­nd war derart groß, dass Martinsson wenige Jahre später Selbstmord beging, indem er sich mit einer Schere den Bauch aufschnitt.

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