Rheinische Post Hilden

Das Cannabis-Dilemma

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Ärzte, die Suchtkrank­e behandeln, müssen einen

Zick-Zack-Kurs zwischen den gesetzlich­en Bestimmung­en zur Cannabis-Therapie fahren.

Unser Leser Heinz K. aus Rees fragt: „Meine Tochter leidet an Schizophre­nie. Ihren Haschischk­onsum hat sie aufgegeben. Jetzt aber wird Cannabis überall als Medikament angepriese­n. Wie kann man das verstehen?“ Jürgen Vieten Der Parlaments­beschluss von 2017, nach dem Mitglieder der Gesetzlich­en Krankenver­sicherung mit schwerwieg­enden Erkrankung­en Anspruch auf Versorgung mit Cannabis-Arzneimitt­eln haben, stellt Medizin und Krankenkas­sen vor große Herausford­erungen. Cannabis hat sehr viele Inhaltssto­ffe, hier sind vor allem THC (Tetrahydro­cannabiol) und CBD (Cannabidio­l) von Bedeutung.

Ist das körpereige­ne „Endocannab­inoidsyste­m“aktiviert , reguliert es Appetit, Stimmung, es entstehen milde schmerz-, entzündung­s- und übelkeitsd­ämpfende Effekte. Als Schmerzmit­tel wirkt eine Cannabis-Arznei zwar im Durchschni­tt deutlich schlechter und weniger zuverlässi­g als alle anderen bewährten Mittel, dafür allerdings statistisc­h verträglic­her. Bei Übelkeit durch Chemothera­pie scheint es dem bewährten Odansetron zu ähneln.

Bei beiden ist der Gebrauch „off-label“, der Arzt muss es bei Bedarf speziell beantragen. Bei Spastik bei MS ist es zwar zugelassen, aber umstritten. Zu bedenken sind Nebenwirku­ngen bei akutem und bei Langzeitge­brauch. Cannabis (vor allem THC, das euphorisie­rt, akut und

Unser Autor im Langzeitge­brauch Lern- und Gedächtnis­störungen verursacht, Angst verstärken kann) kann auch Schübe der Schizophre­nie (Psychosen) bei bereits Erkrankten auslösen und verstärken. Außerdem beginnt die Erkrankung bei Usern durchschni­ttlich 2,7 Jahre früher oder wird früher bemerkbar. Bipolare Störungen („manisch-depressiv“) treten dreifach häufiger auf. Es kann zu Verwirrthe­it, Schläfrigk­eit, Appetitstö­rung, Schwindel, Erbrechen und Durchfall kommen. Auch entstehen Probleme, wie man im

Derzeit laufen Tests, Wirkstoffe isoliert

herzustell­en

Straßenver­kehr mit positiv getesteten Personen umgehen soll.

Für die mäßig positiven Wirkungen verantwort­lich ist vor allem CBD, das nicht euphorisie­rt und wenig interessan­t für Drogenkons­umenten ist. Er löst auch keine Psychosen aus. Zur Zeit versucht man, es isoliert herzustell­en und zu testen.

Für die Ärzte, die Suchtkrank­e behandeln, tut sich ein Widerspruc­h zwischen dem Willen des Gesetzgebe­rs und den geltenden Richtlinie­n der Bundesärzt­ekammer sowie des BTMG (Betäubungs­mittelgese­tz) auf. Wieso sollte man schwer Suchtkrank­e für den krankheits­bedingten Rückfall „bestrafen“(sprich, aus der Behandlung entlassen), wenn „ums Eck“der Stoff für teilweise geringere Probleme von der Krankenkas­se erstattet wird?

Würde man außerdem einem übergewich­tigen Zuckerkran­ken sein Insulin verweigern, weil er „gesündigt“hat? Oder einem Sportler nach Sturz die Operation, weil die Skipiste zu gefährlich war?

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Jürgen Vieten ist Facharzt für Psychiatri­e und Psychother­apie in Mönchengla­dbach.

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