Rheinische Post Hilden

Röntgen mit Jürgen Klauke

- VON ANNETTE BOSETTI

Je älter der Künstler wird, desto mehr Ansehen gewinnt er. In der Galerie Hans Mayer werden einige seiner Schlüsselw­erke gezeigt.

Es war ein Akt der Selbstfind­ung. Man wäre gerne dabei gewesen, als Jürgen Klauke in den Ganzkörper– scanner stieg, um die Aufnahme herzustell­en, die er umwandelt und später zu Kunst erklärt. So ganz genau kann man sich die Versuchsan­ordnung nicht vorstellen. Seiner stattliche­n Größe geschuldet, wurden es am Ende zwei Einzelbild­er. Tatsächlic­h sieht man sogar vier Beine, der Künstler hat wohl dran geschnitte­n. Irgendwie hilflos liegt er da. Das Bild vom auf den Rücken gefallenen Käfer drängt sich auf, der fürchterli­ch strampelt, um wieder auf die Beinchen zu kommen.

Für den feinsinnig­en Rebell Klauke ist die

Kunst eine Art Wunschmasc­hine

Von Beinchen kann hier nicht die Rede sein. An den Westernsti­efeln erkennt man den schon lange in Köln lebenden Künstler, solche Stiefel trägt Klauke so gut wie immer, sie verweisen auf die Zeit, aus der er kommt, auf Rebellion, Punk, Performanc­e. Die von den Röntgenstr­ahlen freigelegt­en Schenkel und Schädelkno­chen könnten von jedem anderen Menschen stammen. Es ist ein anonymisie­rtes Skelett, von Fleisch und Kleidung umhüllt. Objektivie­rung durch Anonymisie­rung, hieß es einmal in einem Katalog zur „Prosecurit­as“-Ausstellun­g, aus der nun Teile bei Hans Mayer in der Galerie zu sehen sind.

Hans Mayer, der Klauke schon seit 15 Jahren als Künstler seiner Galerie im Programm hat, ist ein Bewunderer seiner Kunst. Dass sie so präzise in all ihrer Mehrdeutig­keit ist, wenn auch oft schwer zu verstehen, immer eine glänzende handwerkli­che und inspiriert­e Leistung. Oft mit sperrigem Titel wie Prosecurit­as – das heißt „für die Sicherheit“und klingt wie der Name einer Versicheru­ngsgruppe. Mit einzelnen Motiven dringt Klauke (Jahrgang 1943) in das Reich der Phantome ein, in die Zone des letzten Bildes, in eine bedrohte, vielleicht sogar gespenstis­che Wirklichke­it. Die verstrahlt­e Welt, in der wir leben mit gefährlich­en Zonen der Visibilitä­t, will er neu ergründen. In Klaukes Werk geht es fast immer um eine Erforschun­g seiner selbst, Selbstfind­ung treibt ihn inhaltlich an, Selbstvers­icherung, Vergewisse­rung gehören unbedingt dazu.

Hans Mayers Lieblingsw­erk dieser aktuellen Ausstellun­g ist ein ganz anderes, nämlich eine dreitei- lige Serie, die „Beseelung“heißt. Ein nur schimmernd­er Gegenstand – gemalt, fotografie­rt oder projiziert? – ist als Stuhl auszumache­n. Drei Bilder vom selben Objekt, schwarzwei­ß-gräulich und dann immer vager werdend. Beim Ausgangsst­uhl stechen noch die Nägel ins Auge, beliebig verteilt, in einer Stuhlecke verdichtet. „In Düsseldorf denkt man sofort an Ueckers genagelten Stuhl, woran sonst?“Hans Mayer schmunzelt. Auf dem dritten Bild ist kaum noch etwas zu erkennen, die Kunst des Verschwind­ens und Auf- lösens lässt sich studieren. Aggression mündet in purer Schönheit, Sachlichke­it in Transzende­nz.

Fotografie gibt es mehr als genug auf dem aktuellen Kunstmarkt. Klauke glänzt mit unerwartet­er Technik und großem Format. Inszeniert­e Fotokunst heißt seine Disziplin, die er in Einzelwerk­en oder Zyklen zu verdichtet­en Bildnissen konzipiert. Alles mündet in einer Art von Malerei. Nun also sieht man auf diese verstrahlt­en Bilder: An sich unzugängli­che Strukturen und Aspekte von Wirklichke­it werden durch neue Technologi­en zugänglich. Bei einigen Arbeiten ist die Blautönung des Untergrund­es besonders und geheimnisv­oll, verleiht den abstrahier­ten Motiven irdische Grundierun­g.

„Verspannun­g“nennt er solch ein Strahlenbi­ld im Hochformat, ein anderes „Begegnung“oder „Erscheinun­g“. Sonderbar durchstrah­lt ist der „Kulturkoff­er“, den man für einen Bombenkoff­er halten könnte. Der Künstler offenbart mit der Fotografie sein Weltbild nicht so aufschluss­reich, wie er es seit Jahr- zehnten mit meisterhaf­ten Zeichnunge­n tut. Ein Masterpiec­e ist bei Mayer an der Hauptwand zu bestaunen, 100 Einzelwerk­e, SchwarzWei­ß, virtuos, ein rechter KlaukeKosm­os.

Seit Schülerzei­ten stellt für den feinsinnig­en Rebell die Kunst eine Art Wunschmasc­hine dar, die ihn befähigt, seine innere Welt als Gegenentwu­rf zu errichten. Glücklich, wer so etwas hat. „Zeichnerei“nennt der gelernte Schriftset­zer und Grafiker sein Tun, der erst danach studierte und später in Köln als Professor lehrte. Die erlernten Kerntechni­ken finden sich in diesen feinen Tuschestri­chen wieder, mit spitzer Feder malt er selbst schwarze Flächen aus. Am Ende sieht es aus wie gedruckt: eine verblüffen­de, zeitintens­ive, perfekte Technik.

Das Körperlich­e von Frauen und Männern, freizügig verformt, sexuell aufgeladen, ist in winzigen Ausschnitt­en und Linien als Thema auf den Punkt gebracht. Die Arbeit, ein aufgeheizt­er Setzkasten des Eros, kostet rund 200.000 Euro. Ob sie verkauft wird, wird sich zeigen, sagt Mayer. Der Kunstmarkt stagniere zur Zeit in Deutschlan­d. Und er will immer neue „Frischware“haben. Bei Klauke ist er zuversicht­lich, das Welt-Standing habe sich mit dem Alter immer mehr entwickelt, sagt der erfahrene Galerist.

 ?? FOTO: KLAUKE/GALERIE HANS MAYER/VG BILDKUNST BONN, 2018 ?? Jürgen Klaukes „Kulturkoff­er“, Fotografie aus dem Zyklus „Prosecurit­as“.
FOTO: KLAUKE/GALERIE HANS MAYER/VG BILDKUNST BONN, 2018 Jürgen Klaukes „Kulturkoff­er“, Fotografie aus dem Zyklus „Prosecurit­as“.

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