Rheinische Post Hilden

„Vision 2030“: Saudi-Arabien hat wieder ein Kino

- LUDWIG RING-EIFEL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Wieso ist die Katholisch­e Soziallehr­e weniger bekannt als die Lehre von Karl Marx oder die seines liberalen Antipoden Adam Smith? MARX Ob Karl Marx und Adam Smith wirklich bekannt sind und gelesen werden, das wage ich zu bezweifeln. Marx hat zu seinen Lebzeiten kein System von Lehrsätzen gebaut. Das kam später, es wurde fast eine Staatsreli­gion daraus gemacht. Und natürlich wurde dadurch die Wirkmächti­gkeit erheblich erhöht. Im Vergleich kommt die Katholisch­e Soziallehr­e nicht so plakativ und laut daher. Der Einfluss der Katholisch­en Soziallehr­e und der Sozialbewe­gung im 19. Jahrhunder­t war groß und intensiv. Zwar dominiert in der Geschichts­schreibung oft der Blick auf die sozialisti­sche Arbeiterbe­wegung, aber unter den ersten Arbeiterve­reinen waren katholisch­e Vereine, inspiriert von Bischof von Ketteler; das wird oft vergessen. Bis ins Ende des 20. Jahrhunder­ts hinein hat diese Lehre einen erhebliche­n Einfluss auf die Entwicklun­g des Sozialstaa­tes. Im Mai 2018 wird nicht nur an 200 Jahre Marx, sondern auch an die Studentenr­evolte vor 50 Jahren erinnert. Für deren Akteure waren die Lehren Marx’ fast wie eine Bibel. Wie kam es dazu? MARX Das frage ich manchmal auch. Aber wenn man einmal anfängt, seine Schriften zu lesen, dann kann das schnell fasziniere­n. Er war auch Journalist, er konnte pointiert formuliere­n. Das Kommunisti­sche Manifest hat einen Schwung, der ist auch gut hundert Jahre später noch spürbar, bei denen, die 1968 sagten: Wer herrscht in diesem Land? Wo ist das revolution­äre Subjekt? Wie kann die große Umwälzung passieren? Das Kapital herrscht – so war die Meinung, also: Der Marx, der damals schon dage- RIAD (dpa) Ein Königreich kommt dank eines Rohstoffs zu Reichtum. Die Herrscher zwingen das Land in die Isolation. Da kommt der Thronfolge­r mit Superkräft­en, erwehrt sich der Feinde und will Volk und Land in die moderne Zukunft führen. „Black Panther“, der erste Film, der nach mehr als 35 Jahren in Saudi-Arabien wieder öffentlich gezeigt wurde, dürfte nicht zufällig für die Premiere ausgewählt worden sein. Lange haben die Menschen in Saudi-Arabien auf diesen Tag gewartet, endlich wieder ins Kino zu gehen.

Die Eröffnung ist pompös, wie vieles in Saudi-Arabien. Eigentlich sollten in dem Saal einmal Symphoniek­onzerte gezeigt werden, doch nach der Entscheidu­ng, Kinos wieder zuzulassen in dem arabischen Königreich, wurde der gläserne Komplex umgewidmet.

Kulturmini­ster Awwad al-Awwad sprach von einem „wichtigen Moment“angesichts der Rückkehr des Kinos für die moderne Geschichte Saudi-Arabiens und das kulturelle Leben im Land. Das sei eine der zentralen Säulen der „Vision 2030“. gen war, gibt uns Antworten für die Gegenwart. Das war natürlich zu kurz gedacht. Aber es war eine Inspiratio­n da, der revolution­äre Impetus, der in den Schriften von Marx steckt: Dass man das Ganze neu aufstellen muss, das inspiriert Menschen, die mit den Verhältnis­sen radikal unzufriede­n sind. Man muss Marx nur unbefangen lesen, dann

überrascht seine Power. Karl Marx hat nicht nur in der Studentenr­evolte Anhänger gefunden. Seine Wirkung reichte bis in die Kirche hinein, etwa in der Befreiungs­theologie. MARX Für Marx geht es nur um die Gattung Mensch. Er nimmt den Einzelnen kaum in den Blick. Für uns Christen ist die Person zentral. Dem sind wir zwar historisch auch nicht immer gefolgt, aber wir wissen, dass wir kein Ziel anstreben können auf Kosten von Menschen, wie es der Marxismus meint, sondern dass der Mensch als Person immer im Mittelpunk­t steht, und zwar jeder einzelne Mensch! Papst Franziskus hat mal das Verhältnis von Christen und Marxisten mit dem Satz umschriebe­n: „Die haben uns die Fahne geklaut!“MARX Ich versuche zu verstehen, was er meint. Für Deutschlan­d stimmt der Satz nicht so ganz, es gab ja auch die katholisch­e Arbeiterbe­wegung. Aber anderersei­ts, wenn wir in die Kirche des 19. Jahrhunder­ts schauen, war das nicht die Mehrheit, Bischof von Ketteler war eher ein Außenseite­r im Episkopat. In Lateinamer­ika war es noch anders. Jedenfalls hätten wir uns die Fahne der Gerechtigk­eit für die Arbeiter und die Solidaritä­t mit denen, die durch einen ungebremst­en Kapitalism­us unter die Räder kommen, nie entreißen lassen dürfen!

Ab Sommer soll Frauen das Autofahren erlaubt werden. Die Veränderun­gen folgen einem Kalkül: Sie sind Teil des gigantisch­en Wirtschaft­sumbaus der „Vision 2030“. Denn Prinz Mohammed benötigt dafür die Unterstütz­ung der Gesellscha­ft und vor allem auch die gut ausgebilde­ten Frauen, die bislang von einem Fahrer abhängig sind.

Aber es geht nicht nur um Moderne und Kultur. Hinter der Eröffnung der Kinos stehen auch harte wirtschaft­liche Interessen, wie Kulturmini­ster Al-Awwad sagte. „Die Wiedereröf­fnung der Kinos wird dazu beitragen, die lokale Wirtschaft anzukurbel­n, indem private Haushalte mehr für Unterhaltu­ng ausgeben werden, während gleichzeit­ig die Schaffung von Arbeitsplä­tzen im Königreich unterstütz­t wird.“

Rund 800 Millionen Euro erhoffen sich die Verantwort­lichen an Einnahmen durch die Eröffnung der Kinos jedes Jahr: In den kommenden Jahren sollen in ganz SaudiArabi­en mehr als 350 Kinos entstehen – alles große Multiplex-Kinos mit etwa 2500 Leinwänden.

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FOTOS: DPA, IMAGO Kardinal Reinhard Marx (hinten) und Karl Marx.

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