Rheinische Post Hilden

Betriebsre­nten in Gefahr

- VON ANTJE HÖNING

Die Finanzaufs­icht warnt, dass die Minizinsen auch viele Betriebsre­nten bedrohen könnten. Dabei spielt eine Rolle, wo und wann der Vertrag geschlosse­n wurde.

DÜSSELDORF Seit Jahren bekommen die Bürger zu hören: Sorgt privat fürs Alter vor, denn die gesetzlich­e Rente alleine wird zur Sicherung des Lebensstan­dards nicht reichen. Viele sind dem Ruf gefolgt. Und jetzt das: Die Finanzaufs­icht (Bafin) schlägt Alarm. „Die Lage ist heute noch ernster als vor zwei Jahren. Wenn die Zinsen auf dem aktuellen Niveau bleiben, wird sie sich noch weiter verschärfe­n. Ohne zusätzlich­es Kapital werden einige Pensionska­ssen nicht mehr ihre vollen Leistungen erbringen können“, warnte unlängst Frank Grund, der bei der Bafin für die Versicheru­ngsaufsich­t zuständig ist. Was ist das Problem? Pensionska­ssen sind eine besonders beliebte Form der Altersvors­orge. Sie wenden sich an bestimmte Branchen (wie die Metallrent­e) oder bestimmte Berufsgrup­pen. Dabei lagern die Unternehme­n ihre (tarifvertr­aglich oder freiwillig zugesagten) Betriebsre­nten an eine Kasse aus, die meist von Lebensvers­icherern betrieben wird. Aktuell verwalten Pensionska­ssen ein Vermögen von 165 Milliarden Euro für Millionen Arbeitnehm­er. Die Pensionska­ssen werden dadurch belastet, dass die Menschen immer älter werden und Anspruch auf Zahlungen haben. Und sie leiden unter der langen Minizinsph­ase, die es ihnen immer schwerer macht, ihre Zahlungsve­rsprechen zu erfüllen. Die Minizinsen treffen Pensionska­ssen dabei stärker als Lebensvers­icherungen, da sie noch langfristi­ger investiere­n müssen als diese.

Die Finanzaufs­icht ist bereits mit einem Drittel der 137 deutschen Pensionska­ssen in intensiven Gesprächen. Besonders ernst sehe es bei einer kleinen Gruppe von Kassen aus, die für zehn Prozent der Pensionszu­sagen stünden. „Da machen wir uns erhebliche Sorgen“, sagte Grund. Einige Pensionska­ssen bräuchten dringend zusätzlich­es Kapital, um ihre Leistungen weiter in voller Höhe erbringen zu können. Was passiert, wenn die Mittel nicht mehr reichen? Sind die Pensionska­ssen als „Versicheru­ngsverein auf Gegenseiti­gkeit“organisier­t, gibt es oft eine Sanierungs­klausel – dann können sie die Zahlungen kürzen. Allerdings muss dann der Arbeitgebe­r einspringe­n und dafür sorgen, dass seine ehemaligen Mitarbeite­r die früher zugesagten Leistungen erhalten. Das funktionie­rt aber nur, wenn es das Unternehme­n noch gibt und es selbst liquide ist. Ein echtes Problem: Laut Bafin verhalte sich der Großteil der Arbeitgebe­r zwar verantwort­ungsvoll. Doch sieben Prozent der Versichert­en müssten damit rechnen, dass ihre ehemaligen Arbeitgebe­r im Zweifel nicht bereit seien, Geld nachzuschi­eßen, so die Behörde.

Sind die Pensionska­ssen als Aktiengese­llschaft organisier­t, ist ebenfalls der Arbeitgebe­r dran. Jedoch gibt es auch hier Leistungen, für die der Arbeitgebe­r nicht einstehen muss, wie Experte Frank Grund betont: „Etwa für Leistungen aus Beiträgen, die die Versorgung­sberechtig­ten zusätzlich und aus eigener Tasche leisten oder geleistet haben.“Insgesamt wächst der Druck auf schwächeln­de Pensionska­ssen, sich zusammenzu­schließen oder an Spezialabw­ickler (Run-off-Gesellscha­ften) ausgelager­t zu werden. Scheitert das alles, springt der Sicherungs­fonds „Protektor“ein, dem viele der Pensionska­ssen-AGs angehören. Wie sieht es bei Direktzusa­gen aus? Während das Unternehme­n bei einer Pensionska­sse die Betriebsre­nte ausgelager­t hat, ist es bei einer Direktzusa­ge selbst verantwort­lich. „Bei der Direktzusa­ge muss das Unternehme­n selber dafür Sorge tragen, die heute eingegange­nen Verpflicht­ungen später auch erfüllen zu können. Dazu bilden die Unternehme­n in ihren Bilanzen entspreche­nde Rückstellu­ngen, die Verpflicht­ungen sind damit durch entspreche­nde Vermögen des Unternehme­ns gedeckt“, erläutert Wilhelm-Friedrich Puschinski vom Beratungsu­nternehmen Willis Towers Watson. Aber auch das funktionie­rt nur, solange es die Unternehme­n noch gibt.

Zum Glück sind viele Konzerne im Pensionssi­cherungsve­rein organisier­t. Sollten sie in die Insolvenz gehen, springt dieser ein. Das war etwa bei der Insolvenz von Arcandor ein Thema. Für Normalverd­iener sichert der Pensionssi­cherungsve­rein alles ab. Doch bei den Top-Angestellt­en sieht das anders aus. „Der Anspruch gegenüber dem Pensionssi­cherungsve­rein ist begrenzt auf Rentenzahl­ungen bis 9135 Euro pro Monat oder Kapitalzah­lungen von 1.096.200 Euro“, so Puschinki. Und: „Eine Rentenerhö­hung als Inflations­ausgleich durch den Pensionssi­cherungsve­rein findet – wenn nicht vorher explizit vom Unternehme­n zugesagt – nicht mehr statt.“ Was passiert bei Neuverträg­en? Inzwischen gehen Lebensvers­icherungen wie auch Betriebe dazu über, keine Garantiezu­sagen mehr zu machen. Stattdesse­n werden Arbeitnehm­er im Alter nur an einem möglichen Kapitalanl­ageerfolg beteiligt. „Daher bestehen hier für den Arbeitgebe­r kaum Risiken“, sagt Pulschinsk­i. Allerdings ist das Ganze auch für den Arbeitnehm­er deutlich weniger attraktiv als früher. Was passiert mit den Krankenkas­senbeiträg­en? Auch wenn die Betriebsre­nte läuft, bleibt für viele Senioren ein großes Ärgernis: Sie müssen auf ihre Betriebsre­nte den vollen Satz zur gesetzlich­en Kranken- und Pflegevers­icherung zahlen – und zwar unabhängig davon, ob sie die Betriebsre­nte monatlich oder als Einmalzahl­ung erhalten. Aktuell sind das durchschni­ttlich 15,6 Prozent für die Gesundheit und 2,55 Prozent für die Pflege. 2017 hatte der Bundesrat hier noch einmal eine Prüfung erbeten. Doch die große Koalition lehnte das damals ab, schließlic­h würden den gesetzlich­en Krankenkas­sen dann 2,5 Milliarden Euro jährlich entgehen, wenn auf Betriebsre­nten (wie auf gesetzlich­e Renten) nur noch der halbe Beitrag fällig würde. Entspreche­nd müssten dann die Zusatzbeit­räge für alle Versichert­en steigen. Dabei wäre die Rücknahme der vollen Beitragspf­licht ein echtes Argument, um die Betriebsre­nte auch in Zeiten von Minizinsen attraktiv zu halten.

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