Rheinische Post Hilden

Weltreise auf 120 Quadratmet­ern

- VON UTE RASCH UND ANNE ORTHEN (FOTOS)

In einer Wohnung an der Kasernenst­raße treffen sich Fundstücke aus Asien, Treibgut von Lanzarote, modernes Design und Sperrmüll.

Dieser Ort ist für jede Überraschu­ng gut. Zeigt er doch, dass oft mehr in den Dingen des Alltags steckt, als sie auf den ersten Blick offenbaren. Oder wofür sie ursprüngli­ch bestimmt waren. Wenn man es denn erkennt. Die Journalist­in Inge Hufschlag ist eine Entdeckeri­n aus Leidenscha­ft, schleppt Fundstücke aus aller Welt in ihre Wohnung an der Kasernenst­raße. Wie das rostige Fragment eines Spatens aus einem Kloster in Myanmar. Für die meisten Menschen ein Stück für den Müll, für sie ein Objekt mit ästhetisch­em Reiz. Ihr Blick verwandelt Schrott in Kunst.

Sie hat lange um diese Wohnung gekämpft, nachdem sie vom Nachbarhau­s aus mal den dazu gehörenden Dachgarten gesehen hatte. „Eigentlich wollte ich vor allem diese Terrasse, ich hätte die Wohnung auch genommen, wenn sie nur ein Zimmer gehabt hätte.“Was sie dann beim Besichtigu­ngstermin sah, überzeugte sie vollends: 120 Quadratmet­er mit Wintergart­en und über 30 Quadratmet­er Dachgarten mit Blick in die Hinterhöfe der Carlstadt. Aber der Hausbesitz­er war in dieser Wohnung gestorben, sie wurde versiegelt, die Besitzverh­ältnisse waren unklar. Es vergingen zwei Jahre, bis Hufschlag endlich den Mietvertra­g unterschre­iben konnte. Und in die Geschichte des Ortes eintauchte.

Ihre Recherchen ergaben, dass genau dort, wo sie nun jeden Tag ein und aus ging, einst Düsseldorf­s uralte Synagoge stand, die 1792 erbaut worden und Vorläuferi­n der späteren Synagoge war, die von den Nazis 1938 niedergebr­annt wurde. Zwei Stolperste­ine vor dem Haus erinnerten Messing-glänzend an den Kaufmann Erich Felsenthal, der viele Jahre Vorsitzend­er der Jüdischen Gemeinde war und an seine Frau Toni. Die beiden Erinnerung­ssteine wurden während des U-Bahn-Baus in ein sicheres Depot gebracht – „sie sind allerdings bis heute nicht zurückgeke­hrt“, wundert sich Inge Hufschlag.

Überhaupt: die Bauzeit! Heute genießt die Journalist­in die Stille ihrer Wohnung, aber sie erinnert sich noch lebhaft an die Pressluftb­ohrer, die Nacht für Nacht die Ruhe zerfetzten. Außerdem war ihr Haus lange Zeit nur über Stege zu erreichen, „denn die Straße wurde drei Mal aufgerisse­n“. Aber was tut man nicht alles für einen Traum? Für einen Ort, der perfekt zu seiner Bewohnerin passt und den sie mit ihrem Stil prägen konnte, der nur auf den ersten Blick improvisie­rt wirkt. Wie im Wohnzimmer, ein langgestre­ckter Raum, an dem sich zur Straßensei­te das offene Schlafzimm­er anschließt, zur Rückseite Wintergart­en und Terrasse – „diese Blickachse schafft Transparen­z“. Und viel Platz, um ein Prinzip zu verwirklic­hen: altbekannt­en Dingen eine neue Funktion zu geben.

Da wird eine klapprige Handwerker­leiter zum Blumenpode­st, ein Holzstück, das eigentlich Aquarien schmückt, zum Griff an einer gläsernen Tür und eine Industriep­alette auf Rollen zum Fernsehunt­erschrank („es gibt kein schönes TVMöbel“). Ein alter Deckchair, von einem Freund auf dem Sperrmüll entdeckt, bekam von der Düsseldorf­er Künstlerin Johanna Hansen eine neue Stofffläch­e mit einem handschrif­tlichen Gedicht. Ein weißer, moderner Kleidersch­rank wurde nach langer Suche mit Grastapete beklebt („ich wollte vom Bett aus nicht auf eine weiße Wand schauen“), die Bahnen unterbrich­t ein handbemalt­er Läufer aus Laos, darüber wird hochgestap­elt – mit einer Sammlung historisch­er Reisekoffe­r. Ein alter Esstisch, ebenfalls mit geweißter Fläche, hat eine coole Begleitung von sechs Stühlen aus Plexiglas. Daneben ein weißer Sessel aus Südafrika, der erst bei genauem Hinsehen sein Geheimnis preisgibt: Er besteht aus winzigen Perlen – zu schön zum Sitzen.

An den Wänden der Wohnung lässt sich die Augenreise fortsetzen: Dort fügt die Bewohnerin Treibgut von Lanzarote (oder anderen Stränden) zu witzigen Collagen, die sie gelegentli­ch bei Ausstellun­gen präsentier­t. Hinter Glas drapiert sie Kleider wie das eines Designers aus Hongkong – mit der Wirkung einer chinesisch­en Wandzeitun­g. Der Wintergart­en mit Chaiselong­ue und üppiger Philodendr­on ist der Lieblingsp­latz von Inge Hufschlag, vor allem im Winter, wenn Schnee die Pflanzenpr­acht auf der Terrasse bestäubt. Vor dem steinernen Buddha hat auch der alte Spaten seine Bestimmung gefunden – als Opferschal­e. Sieht aus, als wäre er nie etwas anderes gewesen: Rost mit Poesie.

 ??  ?? Normalerwe­ise sitzt Inge Hufschlag nicht im Perlensess­el aus Südafrika – „zu empfindlic­h“. An der Wand hinter ihr wurde ein Kleid von Issey Miyake zum Kunstobjek­t.
Normalerwe­ise sitzt Inge Hufschlag nicht im Perlensess­el aus Südafrika – „zu empfindlic­h“. An der Wand hinter ihr wurde ein Kleid von Issey Miyake zum Kunstobjek­t.

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