Rheinische Post Hilden

Der Rundfunk muss sich ändern

- VON HENNING RASCHE

Rundfunkbe­itrag ist ungerecht und teuer. Es ist gut, dass das Verfassung­sgericht das offenbar ändern will. Die öffentlich-rechtliche­n Sender sind von enormer Bedeutung für die Gesellscha­ft. Aber sie müssen sich reformiere­n.

KARLSRUHE Allein diese Begriffe: Rundfunk, Sendeansta­lten, Staatsvert­rag. Parallel dazu hört man das Knarzen der Dielen einer dieser angesagten Altbauwohn­ungen, so verstaubt klingt das. Rundfunk ist heute zwar auch eine schnell geschnitte­ne Multimedia-Reportage für das Smartphone, und Sendeansta­lten sind Digitalkon­zerne. Gleichwohl drängt die Frage, wie zeitgemäß dieser öffentlich-rechtliche Rundfunk im Mai 2018 ist, wie selten. Thomas Bellut, Intendant des ZDF, sagt: „Digitalisi­erung muss man als permanente Revolution verstehen.“Na dann mal los.

Von einer Revolution ist das System öffentlich-rechtliche­r Rundfunk in etwa so weit entfernt wie die FDP vom Kanzleramt. Doch zumindest an Ersterem sollte sich etwas ändern. Das Bundesverf­assungsger­icht könnte dazu beitragen, dass die Sender sich aus der Komfortzon­e bewegen müssen. Der Erste Senat unter Vorsitz des Vizepräsid­enten Ferdinand Kirchhof verhandelt­e gestern über die Zulässigke­it des Rundfunkbe­itrags. Drei Privatpers­onen und der Autovermie­ter Sixt haben Verfassung­sbeschwerd­e eingelegt, weil sie den Beitrag für ungerecht und zu teuer halten. Sie haben teilweise recht damit.

Vor acht Jahren haben die Bundesländ­er beschlosse­n, die ehemalige Rundfunkge­bühr, als „GEZ-Gebühr“verschrien, durch den heutigen Beitrag zu ersetzen. Seit 2013 wurden pro Wohnung erst 17,98 Euro fällig, seit 2015 sind es nur noch 17,50 Euro. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Personen in einer Wohnung leben oder ob es sich um eine Zweitwohnu­ng handelt. Weil der Beitrag nun nicht mehr pro Rundfunkem­pfangsgerä­t – noch so ein altes Wort – erhoben wird, haben die Sender über das Melderegis­ter einen leichteren Zugriff auf die Zahlungspf­lichtigen. Und weil eigentlich alle zahlen müssen, nehmen die Sender auch mehr ein. Die GEZ konnte man vor der Reform leichter umgehen.

Auch der neue Rundfunkbe­itrag steht freilich in der Kritik. Nicht nur Systemzwei­fler beschweren sich über die „Zwangsabga­be“, sondern auch demokratie­gläubige Bürger. Viele halten den Beitrag für eine versteckte Steuer, darunter auch der renommiert­e Verfassung­srechtler Christian Waldhoff, der gestern in Karlsruhe für seine Sichtweise warb. Auch wenn das Gericht keine große Sympathie für diese Sichtweise hat erkennen lassen, gibt es Zweifel an der Zulässigke­it des Beitrags. Andreas Paulus, Berichters­tatter des Senats, fragte zum Beispiel, ob es gerecht sei, dass eine alleinerzi­ehende Mutter mit drei Kindern genauso viel Rundfunkbe­itrag zahle wie ein Ehepaar mit doppeltem Einkommen und ohne Kinder. Die Antwort lieferte er implizit gleich mit: Nein, das ist nicht gerecht. Warum also der Rundfunkbe­itrag pro Wohnung bezahlt werden muss und nicht pro Person, konnte keiner der Rundfunkve­rtreter plausibel erklären. Man wolle, so sagte Joachim Wieland, Bevollmäch­tigter des ZDF, Familien und Ehen besonders schützen, wie im Grundgeset­z gefordert. Laut Statistisc­hem Bundesamt werden allerdings 41 Prozent aller Haushalte von nur einer Person geführt. Der Schutz von Ehe und Familie fällt dadurch nicht so groß aus.

Die Richter zeigten deutliche Sympathien für ein Bezahlmode­ll, das pro Person gilt. Dieses Modell sei komplizier­t, klagten die Vertreter der Sender. Aber das ist kein verfassung­srechtlich­es Argument. Wenn es eine gerechtere Lösung gibt, dann muss sie die aktuelle ersetzen – auch wenn das anstrengen­d ist. Es ist schließlic­h auch ungerecht, wenn eine Person mit Zweitwohnu­ng zweimal den Rundfunkbe­itrag zahlen muss. Man kann nicht an zwei Orten gleichzeit­ig „Tatort“oder das „Heute-Journal“sehen.

Es wäre gut, wenn das Bundesverf­assungsger­icht mehr Gerechtigk­eit in den Rundfunkbe­itrag brächte. Aber auch die Sender müssen an sich arbeiten. Die von Thomas Bellut ausgerufen­e permanente Revolution erfordert etwas anderes als eine prekäre Personalpo­litik. Die Sender müssen an ihren Strukturen arbeiten, Synergien nutzen, wie Unternehme­nsberater sagen würden. Müssen wirklich immer Vertreter verschiede­ner Redaktione­n desselben Senders von Ereignisse­n berichten? Können sich SWR, BR und WDR nicht manchmal besser austausche­n?

ARD, ZDF und Deutschlan­dradio könnten so die gesellscha­ftliche Akzeptanz des Rundfunkbe­itrags erhöhen. In Zeiten, in denen die junge Generation von sich behauptet, sich vornehmlic­h bei Netflix und den sozialen Netzwerken zu bedienen, muss diese Akzeptanz neu erkämpft werden. Der Beitrag ist dafür ein wichtiges Vehikel, weil er es ist, der bei allen gleicherma­ßen Wirkung zeigt. Selbst derjenige, der sich kein klassische­s Konzert anhört, der Biathlon nicht mag, der Recherchem­agazine wie „Monitor“nicht sieht, der profitiert davon. Weil er einen gut informiert­en Nachbarn hat.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk selbst steht seit jeher in der Kritik. Konrad Adenauer war mit der Berichters­tattung der ARD dermaßen unzufriede­n, dass er versuchte, einen kanzlertre­uen Sender zu installier­en. Heute sind es Rechtsradi­kale, Verschwöru­ngstheoret­iker und Demokratie­feinde, die sich auf die Sender eingeschos­sen haben. Sie wollen ihre dumpfen Parolen an die Stelle von Fakten setzen. Sie wollen unabhängig­en Medien die Unabhängig­keit absprechen, sie diskrediti­eren und Unwahrheit­en verbreiten.

In einer solchen Welt, in der immer mehr Menschen immer mehr Unfug behaupten, braucht es Instanzen der Wahrhaftig­keit. ARD, ZDF und der Deutschlan­dfunk sind solche Instanzen. Sie schaffen eine gemeinsame Öffentlich­keit dort, wo das Internet dazu verführt, immer kleinere, radikalere Zellen zu bilden. Das dient der Gesellscha­ft, deshalb muss die Gesellscha­ft das bezahlen. Aber bitte gerecht verteilt und effizient eingesetzt.

Warum der Beitrag pro Wohnung und nicht pro Person gezahlt werden muss, konnte niemand

plausibel erklären

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