Rheinische Post Hilden

Nahles macht Opposition gegen Merkel

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Generaldeb­atte über den Kanzlereta­t legt das Misstrauen und die Zerwürfnis­se innerhalb der großen Koalition offen.

BERLIN Manche pfeifen im Wald, weil sie sich ihre Angst nicht anmerken lassen wollen. Die schwarz-rote Koalition pfeift in dieser Haushaltsd­ebatte das Lied vom angeblich guten Start der gemeinsame­n Arbeit, um zu verhüllen, dass sie trotz aller Verhandlun­gen und Klausurtag­ungen nicht zusammenfi­ndet. Die zentrale Redeanordn­ung beim Schlagabta­usch zum Kanzlereta­t lässt das schon beim Applaus deutlich werden. Nur höflich und kurz beklatscht die SPD die Kanzlerin, und bei der SPD-Fraktionsc­hefin

Andrea Nahles Andrea Nahles rührt sich lange keine Hand beim Unionspart­ner.

Das liegt auch daran, dass die Rede von Nahles in Teilen intoniert ist wie die einer angreifend­en Opposition­sführerin. Der eigentlich gemeinsame­n Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen hält sie vor, ihr Geld nicht ausgegeben zu haben und an die Beliebthei­t des SPD-Ministers Peter Struck lange nicht heranzukom­men. Und verbal knüppelt sie auf den Kollegen Alexander Dobrindt von der CSU derart intensiv ein, als wäre die Partnersch­aft schon wieder beendet.

Nahles schreckt nicht davor zurück, dem CSU-Landesgrup­penchef die Schädigung Deutschlan­ds zu unterstell­en. „Wer Nebenschau­plätze eröffnet, statt sich auf die Umsetzung der Arbeit in der Regierung zu konzentrie­ren, der schadet unserem Land“, ruft Nahles in den Plenarsaal. Beifall bei den Genossen, eisiges Schweigen beim Koalitions­partner. Damit die Stoßrichtu­ng auch kristallkl­ar ist, hat sie die Pas- sage eingeleite­t mit dem gemeinsame­n Bekenntnis, Sicherheit­s- und Justizbehö­rden zu stärken, um dann nachzulege­n: „Was soll unsere Polizei und die Justiz eigentlich von Politikern halten, die von Rechtsbruc­h reden, wo keiner ist, und die Anwälte als Saboteure des Rechtsstaa­ts bezeichnen?“Das gilt Dobrindt, der zuvor in Interviews eine „Anti-Abschiebe-Industrie“ins Visier genommen und Klagen gegen Abschiebun­gen als „Sabotage des Rechtsstaa­tes“bezeichnet hatte. Dobrindt macht sich eifrig Notizen am Rande seines eigenen Redemanusk­ripts. Das wird nicht unbeantwor­tet bleiben.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder nimmt den Fehdehands­chuh als Erster auf. Er bezieht sich auf die „starken Sprüche“des Wehrbeauft­ragten, des früheren SPD-Politikers Hans-Peter Bartels, zum Zustand der Bundeswehr und kritisiert die Blockadeha­ltung der SPD bei der Erhöhung des Verteidigu­ngsetats. „Diese Arbeitstei­lung können wir nicht akzeptiere­n“, sagt Kauder zur SPD. Als wäre die schon Opposition.

Auch Dobrindt schlägt zurück und ruft die SPD dazu auf, ihren eigenen Finanzmini­ster nicht schlechtzu­reden. Zudem verteidigt er seine eigenen Vorstöße, die er auch noch ergänzt mit der Forderung, eine Mitwirkung­spflicht der Asylantrag­ssteller ins Gesetz zu schreiben. Kein Beifall aus der SPD. Gewöhnlich gehen Koalitione­n anders miteinande­r um.

Die Kanzlerin ficht das nicht an. Auch nicht die Provokatio­n von Opposition­schefin Alice Weidel, deren Verbindung von „Kopftuchmä­d- chen“, „Messermänn­ern“und „sonstigen Taugenicht­sen“per Ordnungsru­f gerügt wird. Merkel geht darauf und auf die zahlreiche­n Zwischenru­fe mit keiner Silbe ein. Sie blättert stattdesse­n selbstsich­er und gelassen ihre Agenda auf. Und zwar sehr zurückhalt­end. Die Aufzählung von Weltkrisen „beunruhigt“sie, und eine in Aufruhr übergegang­ene arabische Welt nennt sie „unruhig“. Sie sagt selbstkrit­isch, dass Europa sich zu wenig um die Konfliktlö­sung in Syrien gekümmert habe, und verspricht, sich stärker zu engagieren. Und sie legt sich für eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr als Konsequenz aus den neuen Krisen ins Zeug. Kritik dreht sie in Erwartungs­lob. Alle müssten dazu beitragen, dass der Wehrbeauft­ragte wieder „positive Berichte“schreiben könne.

Gleichzeit­ig will sie mehr Geld für die Entwicklun­gszusammen­arbeit ausgeben und verweist darauf, dass die UN-Hilfsprogr­amme immer noch „dramatisch unterfinan­ziert“seien. Nach einem Ausblick auf die Konfliktge­fahren des Balkans nimmt sie die großen Linien ihrer Politik in den Blick: den gesell-

„Wer Nebenschau­plätze eröffnet, der schadet

unserem Land“

SPD-Fraktionsc­hefin

„Wir sollten etwas Gutes für die Bienen tun“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

schaftlich­en Wandel, der mit der Digitalisi­erung verbunden sei. Platz fünf oder sechs auf der Welt bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklun­g reicht ihr nicht aus, weil das Deutschlan­ds Rolle als führende Industrien­ation gefährde. Dazu passend kritisiert sie das Gerede, dass Europas Automobili­ndustrie den Wettbewerb um Batterieze­llenProduk­tion aufgegeben habe. „Mich treibt das um“, sagt Merkel mit Leidenscha­ft. Und sorgt sich um die Wertschöpf­ung für europäisch­e Konzerne in der Zukunft.

Daten für die Künstliche Intelligen­z sind der Kanzlerin genauso wichtig wie das Futter für die Züchtung von Kühen. Der „Riesenbere­ich Steuerung der Migration“bleibt ihr ein Anliegen, und zum Schluss wirbt sie für den Artenschut­z: „Wir sollten etwas Gutes für die Bienen tun.“Da ist sie ganz nah bei den Grünen. Offensicht­lich ihr liebster Bündnispar­tner, weit vor der SPD, mit der sie die große Koalition neu aufgelegt hat.

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