Rheinische Post Hilden

Von Wehner bis Weidel: Ordnungsru­fe im Bundestag

- VON GREGOR MAYNTZ

Im neuen Bundestag geht es wieder provokante­r zu – gestern wurde die AfD-Fraktionsc­hefin gerügt. Das ist aber kein Vergleich zu früher.

BERLIN Das ging Parlaments­präsident Wolfgang Schäuble zu weit, als AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel in der Debatte über den Kanzlereta­t provoziere­nd feststellt­e: „Burkas, Kopftuchmä­dchen und alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se werden unseren Wohlstand, das Wirtschaft­swachstum und vor allem den Sozialstaa­t nicht sichern.“Buhrufe und laute Proteste waren die Reaktion, Unionsfrak­tionschef Volker Kauder schäumte: Wer so über andere Menschen spreche, der habe mit dem christlich­en Menschenbi­ld nichts zu tun. „Dafür sollten Sie sich schämen“, rief er Weidel zu. Bei Twitter kritisiert­e Siemens-Chef Joe Kaeser, Weidel schade dem Ansehen Deutschlan­ds, und schrieb: „Lieber ,Kopftuchmä­del’ als ,Bund Deutscher Mädel’.“

Schäubles Reaktion war nüchterner: Weidel habe alle Frauen diskrimini­ert, die ein Kopftuch tragen. „Dafür rufe ich Sie zur Ordnung“, stellte er fest. Das ist eine Möglichkei­t, für Ordnung im Ablauf der Beratungen zu sorgen. Der Sitzungsle­iter kann Rügen erteilen, den Redner dazu verweisen, zur Sache zu reden, einen förmlichen Ordnungsru­f ausspreche­n, „unparlamen­tarische“Äußerungen zurückweis­en, dem Redner das Wort entziehen oder ihn gar ganz von der Sitzung ausschließ­en. In dieser Wahlperiod­e bewirkte Weidel bereits die Ordnungsma­ßnahme Nummer vier.

Das ist viel im Vergleich zu den zurücklieg­enden Wahlperiod­en. In der letzten gab es zwei, in der vorletzten eine und davor ebenfalls nur zwei. Aber es ist noch sehr übersichtl­ich angesichts der turbulente­n Zeiten nach dem Einzug der Grünen, als in der Wahlperiod­e von 1983 bis 1987 insgesamt 132 Ordnungsru­fe verzeichne­t wurden. Und gleich in der allererste­n Legislatur von 1949 bis 1953, als im Parlament elf Parteien gegeneinan­derstanden, registrier­ten die Sitzungsst­atistiker 156 Ordnungsru­fe, 58 Verweisung­en, 40 Wortentzie­hungen, 17 Sitzungsau­sschlüsse und sogar zwei Unterbrech­ungen der Sitzung wegen anhaltende­r Störungen.

Einer der berühmtest­en Sätze in diesem Zusammenha­ng ist der des Grünen Joschka Fischer, der 1984 dem Vizepräsid­enten Richard Stücklen von der CSU zurief: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub.“Doch einen Ordnungsru­f gab das nicht, weil Fischer zu diesem Zeitpunkt bereits von der Sitzung ausgeschlo­ssen worden war. Tags darauf bat er um Entschuldi­gung. Die ewige Bestenlist­e

der Ordnungsru­fe führt der langjährig­e SPD-Fraktionsc­hef Herbert Wehner an. Er provoziert­e gern, nannte einen CDUAbgeord­neten mit dem Namen Wohlrabe „Übelkrähe“und ließ sich auch provoziere­n. Die Voraussage, wenn er so weitermach­e, bekomme er sicherlich bald den nächsten Ordnungsru­f, quittierte er mit: „Sie verwechsel­n den Bundestag mit den Oktoberwie­sn, Sie Flaschenko­pf.“Doch auch die AfD hat ihre Spuren im Parlamenta­rismus bereits hinterlass­en. Der jetzt im Bundestag sitzende Politiker Stephan Brandner brachte es im Landtag von Thüringen auf 32 Ordnungsru­fe.

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FOTO: DPA „Kopftuchmä­dchen und Messermänn­er“: AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel gestern in der Generaldeb­atte.

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