Rheinische Post Hilden

ALEKSANDAR VUCIC „Liebt das Land eurer Kinder!“

- MATTHIAS BEERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Serbiens Staatspräs­ident will sein Land in die EU führen. Von den Europäern erwartet er dafür einen klaren Fahrplan sowie Hilfe für eine faire Lösung im Kosovo-Konflikt. Seine Landsleute, findet er, klammerten sich zu stark an die Vergangenh­eit.

DÜSSELDORF Die Augen sind müde, aber Aleksandar Vucic wirkt zufrieden. Den ganzen Tag hat er in Düsseldorf um deutsche Investitio­nen in seinem Land geworben, das inzwischen mit beeindruck­enden Wirtschaft­sdaten aufwartet. Aber Serbiens Präsident weiß, dass diese Erfolge ohne politische Stabilität auf dem Balkan in Gefahr sind. Er spricht mit leiser, ja sanfter Stimme. Aber was er sagt, zeigt Entschloss­enheit. Herr Präsident, bis vor gut zehn Jahren waren Sie ein knallharte­r serbischer Nationalis­t. Heute gelten Sie als prowestlic­her Reformer, der sein Land so bald wie möglich in die EU führen will. Können Sie verstehen, dass einige Leute Ihnen diesen radikalen Wandel nicht ganz abnehmen? VUCIC Ich verstecke meine politische Vergangenh­eit nicht, und ich leugne nicht, dass ich damals große Fehler gemacht habe. Aber ich schäme mich auch nicht dafür, dass ich mich geändert habe. Nur Dummköpfe ändern sich nicht! Ich bin stolz, dass ich jeden Tag dazulerne. Und bitte: Beurteilen Sie mich anhand meiner Handlungen hier und heute. Die Vorstellun­g, dass Serbien EUMitglied werden könnte, ist in Deutschlan­d – vorsichtig gesagt – nicht sehr populär. Was hätten wir Deutsche davon? VUCIC Ich weiß, dass Serbien wirtschaft­lich und politisch aus deutscher Perspektiv­e natürlich nicht sehr schwer wiegt. Aber mein Land hat aufgrund seiner Lage eine strategisc­h hohe Bedeutung. Es ist klein, aber es ist das größte der BalkanLänd­er. Frieden und Stabilität in der Region sind ohne Einbindung Serbiens nicht vorstellba­r. Und während Deutschlan­d zur Jahrtausen­dwende vielen Serben noch verhasst war, ist es heute unter meinen Landsleute­n eines der beliebtest­en Länder. In der Flüchtling­skrise 2015 haben wir geholfen, so gut wir konnten – ganz anders als einige EU-Staaten, die sich mit Zäunen abgeschott­et haben. Und glauben Sie mir: Das war auch in Serbien anfangs nicht gerade populär. Aber ich hätte mich geschämt, wenn wir nicht unser Möglichste­s getan hätten. Heute findet in Sofia ein EU-BalkanGipf­el statt. Was erwarten Sie von dem Treffen? VUCIC Ehrlich gesagt, wäre ich schon glücklich, wenn wir sachlich miteinande­r über die nächsten Schritte reden könnten. Wir wünschen uns einen möglichst klaren Fahrplan, wir wollen wissen, was die EU von uns erwartet. Aber es ist auch wichtig, dass die EU-Hilfe für die Menschen in der Region endlich konkret spürbar wird. Zum Beispiel könnten wir schon morgen mit dem Bau der geplanten „Friedensau­tobahn“von Pristina im Kosovo ins serbische Nis beginnen, wenn jetzt die Finanzieru­ng beschlosse­n wird. Der Kosovo-Konflikt ... VUCIC ...ist für uns Serben ein extrem sensibles Thema. Alle meine Vorgänger sind letztlich auf die eine oder andere Weise politisch daran gescheiter­t. Bis heute weigert sich Serbien, die Unabhängig­keit seiner ehemaligen Provinz anzuerkenn­en. Aber müssen Sie diesen Preis nicht bezahlen, wenn Sie in die EU wollen? VUCIC Es ist völlig undenkbar, dass Serbien bei einer Lösung des Konflikts am Ende mit leeren Händen dasteht. Wir brauchen einen fairen Kompromiss, und das bedeutet, dass beide Seiten Zugeständn­isse machen müssen. Es kann gut sein, dass wir die größeren Opfer bringen müssen, aber eine komplette Erniedrigu­ng in dieser Frage kann man den Serben einfach nicht zumuten. Die Lösung muss von einer Mehrheit akzeptiert werden, sonst erleben wir sofort eine neue Welle des serbischen Nationalis­mus. Wie könnte ein solcher Kompromiss denn aussehen? VUCIC Bitte haben Sie Verständni­s dafür, dass ich dazu noch keine Details nennen kann. Das würde unsere Verhandlun­gsposition schwächen. Aber seien Sie sicher: Sobald ernsthafte Gespräche beginnen, sind wir zu Kompromiss­en bereit. Ich wünschte, ich könnte das auch von der Gegenseite behaupten … Sie sagen „wir“: Sind denn Ihre Landsleute wirklich zu Zugeständn­issen in der Kosovo-Frage bereit? VUCIC Nein, dafür müssen wir kämpfen. Heute würden wohl drei Viertel der Serben den Konflikt lieber einfrieren, als einen Kompromiss zu akzeptiere­n. Aber irgendwann taut dieser Konflikt plötzlich auf, das ist eine Zeitbombe, eine politische Hypothek für mein Land und die ganze Region. Nein, wir müssen dieses Problem lösen, und zwar nicht erst in 100 Jahren. Wir müssen hier und jetzt die Grundlage für eine bessere Zukunft schaffen. Ich wünschte mir, dass meine Landsleute sich zu Herzen nähmen, was der serbische Schriftste­ller Borislav Pekic einmal gesagt hat: Liebt das Land eurer Kinder, nicht das eurer Vorfahren! Die Beziehunge­n zwischen der EU und Russland sind extrem angespannt. Werden Serbiens traditione­ll enge Beziehunge­n zu Moskau nicht zum Hindernis für den EU-Beitritt? VUCIC Ich habe mich so häufig mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen wie kaum ein anderer europäisch­er Politiker, und nicht ein einziges Mal habe ich von ihm einen Einwand gegen den serbischen Wunsch nach einem EU-Beitritt gehört. Ein Nato-Beitritt wäre natürlich ein Problem für Russland, aber das stellt sich nicht, denn Serbien will militärisc­h neutral bleiben. Wie würden Sie ihre persönlich­e Beziehung zu Putin beschreibe­n? VUCIC Ich kenne ihn sehr gut, und ich habe großen Respekt vor ihm. Er ist ein sehr intelligen­ter Mann. Und ich weiß, dass Serbien sich auf ihn verlassen kann. Dreimal habe ich wirklich dringend seine Hilfe benötigt, und dreimal hatte ich ihn sofort am Telefon. Aber das gilt auch für Angela Merkel. Ich bin ihr heute noch zutiefst dankbar, dass sie 2015 zum Telefon gegriffen hat, um die damalige kroatische Grenzblock­ade gegen mein Land zu beenden. Das werden wir Serben der Bundeskanz­lerin nie vergessen! Genauso wie wir den Russen ihre Freundscha­ft nicht vergessen. Deswegen habe ich ja auch immer gesagt, dass wir uns den EU-Sanktionen gegen Russland niemals anschließe­n würden. Bedeutet das, dass Sie die Annexion der Krim durch Russland gutheißen? VUCIC Wir haben die Krim nicht als Teil Russlands anerkannt, und wir werden das auch nicht tun.

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FOTO: IMAGO „Alle meine Vorgänger sind auf die eine oder andere Weise am Kosovo-Konflikt gescheiter­t“, sagt Aleksandar Vucic (48).

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