Rheinische Post Hilden

„Wir hatten ein Führungsva­kuum“

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN MICHAEL BRÖCKER, ROBERT PETERS UND FRANK VOLLMER

Der BVB-Geschäftsf­ührer über Gündogan, die Fußball-WM und die Lehren aus einer schwierige­n Saison.

DÜSSELDORF So richtig vorbei ist die Saison für Borussia Dortmunds Profis noch nicht. Am Wochenende spielen sie zur Einweihung des Banc-of-California-Stadions in Los Angeles ein Testspiel. „Wir müssen die Jungs noch mal bewegen“, scherzt BVB-Geschäftsf­ührer HansJoachi­m Watzke beim Besuch in unserer Redaktion, „und die finden das bestimmt auch ganz gut vor der Sommerpaus­e.“ In dieser Woche haben sich Mesut Özil und Ihr ehemaliger Spieler Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatspräs­identen Erdogan ablichten lassen. Wie finden Sie das? WATZKE Leider sind wir inzwischen hierzuland­e ja politisch so korrekt, dass man selten noch klare Positionen vertreten darf. Eine meiner Positionen ist, dass ich kein Anhänger der doppelten Staatsbürg­erschaft bin. Man merkt ja, dass sie zu inneren Konflikten führt. Ilkay Gündogan ist ein außergewöh­nlich guter, intelligen­ter Junge, über jeden Zweifel erhaben. Insofern würde ich ihn in Schutz nehmen, gleichwohl mir das, was er getan hat, nicht gefällt. Wir dürfen, wenn es um Integratio­n geht, einfach nicht vergessen, dass die Kultur, die diese Spieler geprägt hat, eine andere ist. Sie werden patriarcha­lischer geprägt. Insofern ist dann einer eben „mein Präsident“, das hinterfrag­t man dann oft nicht. Vor allem daraus resultiert so eine Aktion. Dass Erdogan das eiskalt ausgenützt hat, ist klar. Und nein, mir gefällt das natürlich nicht. Sind die nicht intelligen­t genug? WATZKE Aus dem patriarcha­lischen Verständni­s ist das zu erklären. Ich glaube nicht, dass Gündogan Wahlwerbun­g betreiben wollte. Es gibt aus meiner Sicht gerade in diesem Kulturkrei­s auch familiär oft die Erwartung, dass man Menschen, die etwas darstellen, mit Respekt begegnet. Dass er als Mensch mit doppelter Staatsange­hörigkeit findet, Erdogan sei sein Präsident, das muss ich akzeptiere­n. Auch wenn ich die Ansicht nicht teilen kann. Muss sich deshalb ein erwachsene­r Mensch nicht für eine Staatsbürg­erschaft entscheide­n? WATZKE Ich bin kein Politiker, aber ich glaube, dass es schwierige­r ist, wenn man eine doppelte Staatsange­hörigkeit in zwei Ländern mit so unterschie­dlichen Kulturen hat. Das bringt Konflikte mit sich. Wir dürfen das nicht kleinreden. Mit der doppelten Staatsange­hörigkeit lösen wir nicht den Konflikt zweier unterschie­dlicher Kulturkrei­se. Es ist nur wieder mal so eine typische Maß- nahme, alles mit einer Harmonieso­ße zu übergießen. Aber Sie teilen die These, dass der Sport politisch ist? WATZKE Natürlich ist der Sport politisch. Borussia Dortmund ist ein gutes Beispiel. Es ist klar, dass wir eine Meinung haben, dass wir gegen Rassismus kämpfen, gegen Homophobie einstehen und für Integratio­n. Wir dürfen uns als Club aber nicht parteipoli­tisch positionie­ren. Manche sagen, der DFB soll sich bei Özil und Gündogan nicht so anstellen. Er macht ja auch Geschäfte mit Russland, China und der Türkei. Ist das Doppelmora­l? WATZKE Nein, es ist ein großer Unterschie­d, ob man Wahlwerbun­g macht für jemanden, der autokratis­ch ist, oder ob man in einer globalisie­rten Welt geschäftli­ch verwoben ist. Dass wir so eine lange Friedenspe­riode in Europa haben, hat auch damit zu tun, dass jeder mit jedem Handel treibt und im Gespräch bleibt. Wenn man Autokraten nicht noch unterstütz­en will, dürfte die Kanzlerin auch nicht zur WM nach Russland fahren. WATZKE Wenn die Kanzlerin fährt, um unsere Mannschaft zu unterstütz­en, ist das doch in Ordnung. Dadurch, dass man alles boykot- tiert, wird’s doch nicht besser. Eine Reise nach Russland ist alleine Merkels Entscheidu­ng. War es falsch, die Weltmeiste­rschaft nach Russland und Katar zu vergeben? WATZKE Die Entscheidu­ng für Katar ist peinlich. Das Land hat keine Fußballkul­tur und nicht die klimatisch­en Bedingunge­n, die eine WM unter sportliche­n Gesichtspu­nkten rechtferti­gen. Russland dagegen hat beides. Es waren schon mal mehr BVB-Spieler in einem WM-Aufgebot. Mario Götze und André Schürrle bleiben zu Hause. WATZKE (lacht) Ein paar mögliche Nationalsp­ieler hat man uns in der jüngeren Vergangenh­eit ja weggeholt. Und wenn man so eine Saison spielt wie wir, muss man sich nicht wundern. Ich finde, Götze hätte mit seiner Erfahrung und seinem Spielverst­ändnis dabei sein können. Aber Joachim Löw ist ein guter Trainer, er hat es so entschiede­n. Von wem erwarten Sie in Russland etwas Besonderes? WATZKE Marco Reus ist für jede Überraschu­ng gut. Das ist ein Mann mit eingebaute­r Torgaranti­e. Vorn haben wir ohnehin eine sehr gute Besetzung, und wir haben mit Jerome Boateng und Mats Hummels die beste Innenverte­idigung Europas. Mats ist für mich der beste Verteidige­r in Europa. Was heißt das für die Mannschaft? WATZKE Wir haben eine Chance auf den Titel, aber auch andere haben große Qualität. Brasilien ist sehr stark, weil es die Mischung aus Kompakthei­t und spielerisc­her Klasse hat. Frankreich ist für mich der Topfavorit, weil es außerorden­tliche offensive Fähigkeite­n hat. Ihre Mannschaft ist mit ein bisschen Glück doch noch in die Champions League geraten. Was sind die Lehren aus dieser Saison? WATZKE Wir haben die Spielzeit sehr intensiv analysiert. Natürlich wissen wir, dass wir die Champions League ein Stück weit geschenkt bekommen haben. Bei uns hat einiges nicht funktionie­rt. Wir hatten so etwas wie ein Führungsva­kuum, die Griffigkei­t, ich will nicht sagen Aggressivi­tät, hat uns gefehlt, Typen wie Vidal oder Alonso. Auf die du als Gegner zuläufst und schon Angst hast. Wir haben zu sehr allein auf das spielerisc­he Vermögen gesetzt. Daran muss der neue Trainer Lucien Favre also in erster Linie arbeiten. WATZKE Netter Versuch! Wir wissen, wer der neue Trainer wird, aber wir geben es erst bekannt, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Der neue Trainer muss die Mannschaft stabilisie­ren und dafür sorgen, dass sie ein Stück weit Freude am Job zurückgewi­nnt. Das ist übrigens keine Kritik an Peter Stöger. Er hat die Dinge so vorgefunde­n und seinen Job erfolgreic­h gemacht. Wir sind ihm sehr dankbar. Ganz nebenbei haben Sie eine neue Führungsst­ruktur. WATZKE Es macht große Freude in dieser neuen Runde. Durch den Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng, Sebastian Kehl, hat unser Sportdirek- tor Michael Zorc einen neuen ständigen Ansprechpa­rtner. Über Matthias Sammers (Berater, Anm. d. Red.) überragend­en Sachversta­nd brauchen wir nicht zu sprechen. Er gibt wie ich seinen Input. Und wie kommen Alphatiere wie Watzke und Sammer klar? WATZKE Problemlos, denn die sportliche­n Entscheidu­ngen trifft am Ende Michael Zorc. Da gibt es keine Mehrheitsa­bstimmunge­n, er trägt schließlic­h die Verantwort­ung. Sie sind nicht mehr täglich dabei? WATZKE Ich werde mich nach 13 Jahren, in denen ich ganz eng dran war, mehr ums Strategisc­he und das Management kümmern. Aber es wird auch künftig kein Spiel des BVB ohne mich auf der Tribüne geben. In Ihrer Zeit ist der BVB der natürliche Herausford­erer der Bayern geworden. Nun ist die Lücke riesig. WATZKE Wir haben uns nie als Herausford­erer der Bayern gefühlt. Unser Anspruch ist es, der Klub mit der zweitgrößt­en Strahlkraf­t in Deutschlan­d zu sein. Wir sind seit 2011 zweimal Meister geworden, haben das Double geholt, standen im Champions-League-Finale und haben uns siebenmal für die Königsklas­se qualifizie­rt. Wenn das außer Bayern jemand vorweisen kann, ist er die Nummer zwei. In dieser Saison war Schalke Zweiter. WATZKE Das kann mal passieren, aber ich hoffe, dass es in der nächsten Saison nicht noch mal passiert. War deshalb die Stimmung im Stadion so schlecht? WATZKE Das mit der Stimmung ist ein flächendec­kendes Phänomen. Da kommt einiges zusammen. Ablösesumm­en von 222 Millionen Euro, Spieler, die sich zu anderen Klubs streiken, vielleicht auch Erwartungs­haltungen. Wir werden daraus unsere Ableitunge­n treffen, aber sicher nichts Populistis­ches tun.

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