„Wir hatten ein Führungsvakuum“
Der BVB-Geschäftsführer über Gündogan, die Fußball-WM und die Lehren aus einer schwierigen Saison.
DÜSSELDORF So richtig vorbei ist die Saison für Borussia Dortmunds Profis noch nicht. Am Wochenende spielen sie zur Einweihung des Banc-of-California-Stadions in Los Angeles ein Testspiel. „Wir müssen die Jungs noch mal bewegen“, scherzt BVB-Geschäftsführer HansJoachim Watzke beim Besuch in unserer Redaktion, „und die finden das bestimmt auch ganz gut vor der Sommerpause.“ In dieser Woche haben sich Mesut Özil und Ihr ehemaliger Spieler Ilkay Gündogan mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan ablichten lassen. Wie finden Sie das? WATZKE Leider sind wir inzwischen hierzulande ja politisch so korrekt, dass man selten noch klare Positionen vertreten darf. Eine meiner Positionen ist, dass ich kein Anhänger der doppelten Staatsbürgerschaft bin. Man merkt ja, dass sie zu inneren Konflikten führt. Ilkay Gündogan ist ein außergewöhnlich guter, intelligenter Junge, über jeden Zweifel erhaben. Insofern würde ich ihn in Schutz nehmen, gleichwohl mir das, was er getan hat, nicht gefällt. Wir dürfen, wenn es um Integration geht, einfach nicht vergessen, dass die Kultur, die diese Spieler geprägt hat, eine andere ist. Sie werden patriarchalischer geprägt. Insofern ist dann einer eben „mein Präsident“, das hinterfragt man dann oft nicht. Vor allem daraus resultiert so eine Aktion. Dass Erdogan das eiskalt ausgenützt hat, ist klar. Und nein, mir gefällt das natürlich nicht. Sind die nicht intelligent genug? WATZKE Aus dem patriarchalischen Verständnis ist das zu erklären. Ich glaube nicht, dass Gündogan Wahlwerbung betreiben wollte. Es gibt aus meiner Sicht gerade in diesem Kulturkreis auch familiär oft die Erwartung, dass man Menschen, die etwas darstellen, mit Respekt begegnet. Dass er als Mensch mit doppelter Staatsangehörigkeit findet, Erdogan sei sein Präsident, das muss ich akzeptieren. Auch wenn ich die Ansicht nicht teilen kann. Muss sich deshalb ein erwachsener Mensch nicht für eine Staatsbürgerschaft entscheiden? WATZKE Ich bin kein Politiker, aber ich glaube, dass es schwieriger ist, wenn man eine doppelte Staatsangehörigkeit in zwei Ländern mit so unterschiedlichen Kulturen hat. Das bringt Konflikte mit sich. Wir dürfen das nicht kleinreden. Mit der doppelten Staatsangehörigkeit lösen wir nicht den Konflikt zweier unterschiedlicher Kulturkreise. Es ist nur wieder mal so eine typische Maß- nahme, alles mit einer Harmoniesoße zu übergießen. Aber Sie teilen die These, dass der Sport politisch ist? WATZKE Natürlich ist der Sport politisch. Borussia Dortmund ist ein gutes Beispiel. Es ist klar, dass wir eine Meinung haben, dass wir gegen Rassismus kämpfen, gegen Homophobie einstehen und für Integration. Wir dürfen uns als Club aber nicht parteipolitisch positionieren. Manche sagen, der DFB soll sich bei Özil und Gündogan nicht so anstellen. Er macht ja auch Geschäfte mit Russland, China und der Türkei. Ist das Doppelmoral? WATZKE Nein, es ist ein großer Unterschied, ob man Wahlwerbung macht für jemanden, der autokratisch ist, oder ob man in einer globalisierten Welt geschäftlich verwoben ist. Dass wir so eine lange Friedensperiode in Europa haben, hat auch damit zu tun, dass jeder mit jedem Handel treibt und im Gespräch bleibt. Wenn man Autokraten nicht noch unterstützen will, dürfte die Kanzlerin auch nicht zur WM nach Russland fahren. WATZKE Wenn die Kanzlerin fährt, um unsere Mannschaft zu unterstützen, ist das doch in Ordnung. Dadurch, dass man alles boykot- tiert, wird’s doch nicht besser. Eine Reise nach Russland ist alleine Merkels Entscheidung. War es falsch, die Weltmeisterschaft nach Russland und Katar zu vergeben? WATZKE Die Entscheidung für Katar ist peinlich. Das Land hat keine Fußballkultur und nicht die klimatischen Bedingungen, die eine WM unter sportlichen Gesichtspunkten rechtfertigen. Russland dagegen hat beides. Es waren schon mal mehr BVB-Spieler in einem WM-Aufgebot. Mario Götze und André Schürrle bleiben zu Hause. WATZKE (lacht) Ein paar mögliche Nationalspieler hat man uns in der jüngeren Vergangenheit ja weggeholt. Und wenn man so eine Saison spielt wie wir, muss man sich nicht wundern. Ich finde, Götze hätte mit seiner Erfahrung und seinem Spielverständnis dabei sein können. Aber Joachim Löw ist ein guter Trainer, er hat es so entschieden. Von wem erwarten Sie in Russland etwas Besonderes? WATZKE Marco Reus ist für jede Überraschung gut. Das ist ein Mann mit eingebauter Torgarantie. Vorn haben wir ohnehin eine sehr gute Besetzung, und wir haben mit Jerome Boateng und Mats Hummels die beste Innenverteidigung Europas. Mats ist für mich der beste Verteidiger in Europa. Was heißt das für die Mannschaft? WATZKE Wir haben eine Chance auf den Titel, aber auch andere haben große Qualität. Brasilien ist sehr stark, weil es die Mischung aus Kompaktheit und spielerischer Klasse hat. Frankreich ist für mich der Topfavorit, weil es außerordentliche offensive Fähigkeiten hat. Ihre Mannschaft ist mit ein bisschen Glück doch noch in die Champions League geraten. Was sind die Lehren aus dieser Saison? WATZKE Wir haben die Spielzeit sehr intensiv analysiert. Natürlich wissen wir, dass wir die Champions League ein Stück weit geschenkt bekommen haben. Bei uns hat einiges nicht funktioniert. Wir hatten so etwas wie ein Führungsvakuum, die Griffigkeit, ich will nicht sagen Aggressivität, hat uns gefehlt, Typen wie Vidal oder Alonso. Auf die du als Gegner zuläufst und schon Angst hast. Wir haben zu sehr allein auf das spielerische Vermögen gesetzt. Daran muss der neue Trainer Lucien Favre also in erster Linie arbeiten. WATZKE Netter Versuch! Wir wissen, wer der neue Trainer wird, aber wir geben es erst bekannt, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Der neue Trainer muss die Mannschaft stabilisieren und dafür sorgen, dass sie ein Stück weit Freude am Job zurückgewinnt. Das ist übrigens keine Kritik an Peter Stöger. Er hat die Dinge so vorgefunden und seinen Job erfolgreich gemacht. Wir sind ihm sehr dankbar. Ganz nebenbei haben Sie eine neue Führungsstruktur. WATZKE Es macht große Freude in dieser neuen Runde. Durch den Leiter der Lizenzspielerabteilung, Sebastian Kehl, hat unser Sportdirek- tor Michael Zorc einen neuen ständigen Ansprechpartner. Über Matthias Sammers (Berater, Anm. d. Red.) überragenden Sachverstand brauchen wir nicht zu sprechen. Er gibt wie ich seinen Input. Und wie kommen Alphatiere wie Watzke und Sammer klar? WATZKE Problemlos, denn die sportlichen Entscheidungen trifft am Ende Michael Zorc. Da gibt es keine Mehrheitsabstimmungen, er trägt schließlich die Verantwortung. Sie sind nicht mehr täglich dabei? WATZKE Ich werde mich nach 13 Jahren, in denen ich ganz eng dran war, mehr ums Strategische und das Management kümmern. Aber es wird auch künftig kein Spiel des BVB ohne mich auf der Tribüne geben. In Ihrer Zeit ist der BVB der natürliche Herausforderer der Bayern geworden. Nun ist die Lücke riesig. WATZKE Wir haben uns nie als Herausforderer der Bayern gefühlt. Unser Anspruch ist es, der Klub mit der zweitgrößten Strahlkraft in Deutschland zu sein. Wir sind seit 2011 zweimal Meister geworden, haben das Double geholt, standen im Champions-League-Finale und haben uns siebenmal für die Königsklasse qualifiziert. Wenn das außer Bayern jemand vorweisen kann, ist er die Nummer zwei. In dieser Saison war Schalke Zweiter. WATZKE Das kann mal passieren, aber ich hoffe, dass es in der nächsten Saison nicht noch mal passiert. War deshalb die Stimmung im Stadion so schlecht? WATZKE Das mit der Stimmung ist ein flächendeckendes Phänomen. Da kommt einiges zusammen. Ablösesummen von 222 Millionen Euro, Spieler, die sich zu anderen Klubs streiken, vielleicht auch Erwartungshaltungen. Wir werden daraus unsere Ableitungen treffen, aber sicher nichts Populistisches tun.