Rheinische Post Hilden

Leidenscha­ft auf kleiner Flamme

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Nach einer wahren Geschichte“heißt der neue Thriller von Roman Polanski. Über Mittelmaß reicht er nicht hinaus.

Das Etikett „nach einer wahren Geschichte“wird im Kino ja ein wenig inflationä­r in Gebrauch genommen. Die vermeintli­che Authentizi­tät soll dem Gesehenen auf der Leinwand das zusätzlich­e Gewicht des Geschehene­n verleihen. Aber was soll das überhaupt sein, „eine wahre Geschichte“? Der Begriff ist ohnehin ein Widerspruc­h in sich, denn das „Wahre“geschieht nun einmal im echten Leben, und Geschichte­n sind immer etwas Erzähltes, Geformtes und damit Fiktives.

Der Film bedient alle Erwartunge­n, so dass man sich fragt, ob wohl

Ironie im Spiel ist

Wenn ein Regisseur wie Roman Polanski seinen neuen Film „Nach einer wahren Geschichte“nennt, dann ist das natürlich ein ironisches Verspreche­n, dass hier die Wahrheit mit ihrem Absoluthei­tsanspruch zum Spielball der Erzählung wird. Im Zentrum des Filmes steht die Autorin Delphine (Emmanuelle Seigner), deren neuer Roman es gerade in die Bestseller­listen geschafft hat. Auf der Buchmesse stehen die Fans Schlange für eine Widmung und beteuern, wie bedeutend das Werk der geliebten Autorin für ihr ganz persönlich­es Leben sei. Die Begeisteru­ng der Leser scheint Delphine zu ersticken. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass sie in dem Roman das Leben ihrer Mutter literarisc­h ausgeweide­t hat. Zuhause in der Pariser Wohnung landen regelmäßig anonyme Schreiben im Briefkaste­n, die sie der Nestbeschm­utzung bezichtige­n.

Aber dann erscheint plötzlich Elle (Eva Green) vor dem Signiertis­ch. Ihr bohrender Blick aus strahlend blauen Augen lässt den Lärm der Buchmesse um sie herum verschwind­en, und es ist von der ersten Sekunde an klar, dass Delphine sich der Aura dieser Frau nicht entziehen können wird. Noch am selben Abend taucht Elle auf einer langweilig­en Verleger-Party auf, und bei ein paar Wodkas in der Küche beginnen sich die beiden Frauen anzufreund­en. Elle schreibt als Ghostwrite­rin Bücher für Promis und bleibt im Gegensatz zu Delphine in der öffentlich­en Wahrnehmun­g unsichtbar. Innerhalb kürzester Zeit nistet sie sich im Leben der Bestseller-Autorin ein, die gerade an einer Schreibblo­ckade leidet und die Hilfsangeb­ote der neuen Freundin gerne annimmt. Ehe Delphine es sich versieht, be- ginnt Elle ihre E-Mails zu beantworte­n und die kriselnde Kollegin von der Außenwelt abzuschirm­en. Schließlic­h zieht sie mit in die Wohnung ein und übernimmt sogar als Double den Vortrag vor einer Schulklass­e.

Als Delphine sich ein Bein bricht, scheint sie ganz der übergriffi­gen Freundin ausgeliefe­rt, die in Rage geraten auch schon einmal wehrlose Küchengerä­te mit dem Nudelholz zertrümmer­t. Diese Frau hat offensicht­lich biografisc­h bedingte Probleme, und genau das weckt Delphines Interesse als literarisc­he Inspiratio­nsquelle. Und schon bald ist nicht mehr klar, wer hier eigentlich wessen Leben in Besitz nimmt.

Auf kleiner Flamme lässt Roman Polanski seinen Psychothri­ller vor sich hin köcheln. Das Drehbuch nach dem Roman von Delphine de Vigan hat der 84-jährige Regisseur zusammen mit Olivier Assayas entwickelt, der zuletzt in „Personal Shopper“seinen eigenen Zugang zum Thriller-Genre suchte. Genau- so wie die beiden Hauptfigur­en das Leben der jeweils Anderen in Gebrauch nehmen, bedienen sich auch Polanski und Assayas in der Wahl ihrer Motive in der Genregesch­ichte.

Von Rob Reiners Stephen-KingVerfil­mung „Misery“bis zu Polanskis eigenem „Ghostwrite­r“reicht der Zitate-Katalog. Großzügig werden Erwartungs­haltungen bedient. Dass sich hinter den feurigen Blicken und dem knallroten Lippenstif­t von Eva Green Gefahr verbirgt, Nach einer wahren Geschichte, Frankreich, Polen, Belgien 2017 – Regie: Roman Polanski, mit Emmanuelle Seigner, Eva Green, Vincent Perez, 101 Min.

Bewertung:

 ?? FOTO: DPA ?? Emmanuelle Seigner (l.) als Schriftste­llerin Delphine und Eva Green als die mysteriöse Fremde namens Elle.
FOTO: DPA Emmanuelle Seigner (l.) als Schriftste­llerin Delphine und Eva Green als die mysteriöse Fremde namens Elle.

Newspapers in German

Newspapers from Germany