Rheinische Post Hilden

Er will nur spielen

- VON KLAS LIBUDA

Jürgen von der Lippe feiert morgen im Theater an der Kö Premiere. Außerdem wird er bald 70. Eine Begegnung.

Ich möchte eben kurz erzählen, wie ich Jürgen von der Lippe kennenlern­te. Mitte der 90er war das, ich durfte noch keinen Fernseher haben, aber der Nachbarsju­nge hatte einen zur Kommunion bekommen. Also ging ich immer öfter rüber, und dort sah ich „Disney Club“, „Mila Superstar“und zum ersten Mal „Geld oder Liebe“. So wurde Jürgen von der Lippe – ernsthaft – Teil jugendlich­en Aufbegehre­ns.

Wenig später, mit 13, 14 Jahren, spielte er dann keine Rolle mehr für mich, anderes wurde wichtig, und irgendwann verlor ich ihn ganz aus den Augen. Nun tritt er in Düsseldorf auf, mit „Die wollen nur spielen“feiert er morgen im Theater an der Kö Premiere. Von der Lippe hat das Stück geschriebe­n und spielt die Hauptrolle. Eine gute Gelegenhei­t für ein Wiedersehe­n also.

Von der Lippe sieht aus wie immer. Bart, Brille, bisschen rundlich und vielleicht etwas älter, und er trägt jetzt kein Hawaiihemd, sondern ein schwarzes T-Shirt. Gerade noch hat er auf der Bühne Karnevalsl­ieder improvisie­rt (im Hemd!), nun sitzt er im Zuschauerr­aum und erzählt von früher. Wie das damals war, in Aachen, am ehrwürdige­n Kaiser-Karls-Gymnasium. Rebellion – „gab es nicht“, sagt er. Nur einmal, als sie genug davon hatten, immer mit den Mädchen vom katholisch­en St.-Ursula-Gymnasium zur Tanzstunde gehen zu müssen, begehrten sie auf, bis auch evangelisc­he Tanzpartne­rinnen zugelassen waren. „Zum ersten Mal in der Geschichte des Gymnasiums“, sagt von der Lippe. Ein anderes Mal gründeten sie mit amerikanis­chen Austauschs­chülern eine Band und traten vorm Kriegerden­kmal auf. Lange wurde diskutiert, ob das geht, erzählt er, „auch weil getanzt wurde.“Andere Zeiten waren das.

Von der Lippe wird in drei Wochen 70, am 8. Juni, feiert aber nicht, denn auf Feiern liegt kein Segen, sagt er. Wen man nicht einlade, habe man anschließe­nd zum Feind, und irgendeine­n vergesse man ja immer. Die ARD wird ihm zu Ehren eine dreistündi­ge Show ausstrahle­n, am 9. Juni, die soeben mit ihm und vielen Gästen in den WDR-Studios in Köln-Bocklemünd abgedreht wurde. Doch auch die wird von der Lippe nicht ansehen können, weil er an dem Abend in Düsseldorf auf der Bühne steht. Guckt er sich später in der Mediathek an.

Jürgen von der Lippe ist vielbeschä­ftigt, gerade ist er mit „Die wollen nur spielen“einige Dutzend Mal in Braunschwe­ig aufgetrete­n, nun ist er im Theater an der Kö zu Gast, für den Herbst bereitet er ein neues Soloprogra­mm vor, nächstes Jahr erscheint sein erster Roman. In den Ruhestand will er nicht. Kann er nicht. „Wir sind suchtkrank“, sagt er über Leute aus seiner Branche. Und nun kommt er mit einem dieser Fremdwörte­r um die Ecke, die er so liebt: Histrionik­er – „ein Menschenty­pus, der exhibition­istischer und harmoniebe­dürftiger ist als der Durchschni­tt“, erklärt er. So einer ist er.

Seit vergangene­m Jahr probiert Jürgen von der Lippe etwas Neues. Er hat bei Youtube einen Kanal eingericht­et und dafür vier Folgen „Lippes Leselust“produziert, eine Sendung für humorige Bücher. Zurzeit liest von der Lippe „Eierlikört­age“von Hendrik Groen und „Die Herrenauss­tatterin“von Mariana Leky und „Die Schulzeit Jesu“von J. M. Coetzee, da stört ihn aber das gesamte Figurenper­sonal, den Autor findet er hingegen toll. Eigentlich könnte von der Lippe ja langsam auch mal seine Autobiogra­fie vorlegen. Macht er aber nicht, sagt er. Niemals. Ist ihm zu einseitig und „verlogen“.

„Die wollen nur spielen“ist das erste Theaterstü­ck, das er geschriebe­n hat, schon vor fünf Jahren feierte es Uraufführu­ng in Köln, und die Kritiken waren damals durchwachs­en. Kann er im Nachhinein auch verstehen, sagt er. Er habe sich das Stück mit dem Ensemble und Regisseur Axel Beyer dann noch einmal vorgenomme­n und es gestrafft. Mittlerwei­le sei die Mannschaft zudem auch so richtig eingespiel­t.

Im Stück kommen sich zwei Männer und zwei Frauen näher, es geht um Religion und Medizin, auch um Sex. „Es geht ja immer um Sex“, sagt von der Lippe. Viele halten ihn ohnehin für den Meister schlüpfrig­er Witze, andere können ihn genau deshalb nicht leiden. Dass zurzeit ausgiebig über Geschlecht­er- und Machtverhä­ltnisse diskutiert wird, findet er richtig. Dass ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer an der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule übermalt werden soll, weil es Studenten als sexistisch kritisiert hatten, geht ihm zu weit.

Es ist nun etwas spät geworden. Der Theaterche­f, René Heinersdor­ff, hat sich dazugesell­t, aber eine Frage geht noch. Was ich von ihm immer schon mal wissen wollte: Geld oder Liebe? Jürgen von der Lippe überlegt nicht lange. „Ich habe beides“, sagt er.

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