Rheinische Post Hilden

Abschied vom Aufsichtsr­at

- VON FLORIAN RINKE

Ohne Werner Müller würde es Evonik nicht geben. Nun tritt er als Aufsichtsr­atschef ab – und wurde mit Kompliment­en überhäuft.

ESSEN „Kraft für Neues“steht unter dem Evonik-Logo – und natürlich soll es in Essen auch darum gehen. Es ist immerhin der erste Auftritt von Christian Kullmann als Vorstandsc­hef bei einer Hauptversa­mmlung des Konzerns, der Start ins neue Geschäftsj­ahr lief gut und die Ziele sind ambitionie­rt. Bester Spezialche­mieKonzern der Welt wolle man werden, betonte Kullmann.

Doch Omega-Drei-Fettsäuren­Fischfutte­r für Lachse, Materialie­n für 3D-Drucker und andere große Zukunftspl­äne spielen in der Gruga-Halle eine Nebenrolle. Denn da sitzt auch noch dieser Mann auf der Bühne, dunkler Dreiteiler, hellblaue Krawatte, links neben Kullmann in der ersten Reihe: Werner Müller.

Kullmanns erster Auftritt als Vorstandsc­hef bei der Hauptversa­mmlung ist auch der letzte von Müller als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender.

„Ich stehe für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung“, sagte der schwer erkrankte Müller. Und weil damit nicht irgendjema­nd abtritt, sondern der Erfinder von Evonik, der die RAG-Stiftung mit aus der Taufe gehoben hat, um den Steinkohle­bergbau abzuwickel­n, die Ewigkeitsl­asten zu stemmen und überlebens­fähigen Teilen eine Perspektiv­e zu geben, wurde die Generaldeb­atte zu einem Lobgesang für den scheidende­n Müller.

Vorstand und Anteilseig­ner dankten ihm für seine Arbeit, wobei die Ausführung­en teils absurde Züge annahmen. So bat eine Rednerin die anwesenden Aktionäre, man mögen doch möglichst auf Fragen verzichten, um die Sitzung nicht zu lang werden zu lassen und Müller damit zu schonen. Dabei sind Fragen fester Bestandtei­l von Hauptversa­mmlungen, weil hier die Unternehme­n ihren Anteilseig­nern Rede und Antwort stehen müssen.

Entspreche­nd energisch wiegelte Müller ab: „Auf dem Kopf sieht es etwas kahler aus, im Kopf ist aber alles klar.“Es müsse niemand auf seine Fragen verzichten. „Ich bin zu Hause nicht vor 16 Uhr angemeldet.“

Da war es wieder, Müllers Motto, das Christian Kullmann noch einmal hervorhob: „Leben ist Dienst“. Denn natürlich ließ es sich auch der Vorstandsc­hef nicht nehmen, Müller zu danken. „Ohne Sie würde es Evonik gar nicht geben“, sagte Kull- mann in Richtung Müller: „Sie sind unser Gründungsv­ater und werden es immer bleiben.“

Das betonte auch Bernd Tönjes, der sich noch gut an die Zeit erinnern konnte, als Politik und Betriebsrä­te um eine Lösung für den Bergbau rangen, als das Geschäft aufgeteilt wurde in, wie Tönjes es nennt, „schwarz und weiß“.

Der weiße Bereich, das waren all die Geschäfte, die nichts mit der schwarzen Kohle zu tun hatten – und die zum Teil unter dem Namen Evonik an die Börse gebracht wurden. Bis heute ist die RAG-Stiftung größter Aktionär, rund 68 Prozent hält sie noch an dem Essener Unternehme­n, mit dessen Dividenden (in diesem Jahr 1,15 Euro je Aktie) sie auch ihre eigenen Aufgaben zum Teil finanziert. Erdacht wurde das Konzept vom 71-jährigen Müller.

„Man kann also zurecht sagen, dass Werner Müller der Architekt dieser Neuausrich­tung ist“, so Tönjes. Er habe damit wichtige Impulse für das Ruhrgebiet gesetzt.

Tönjes ist nicht irgendwer, seit 2008 ist er Chef des RAG-Konzerns und genau wie Müller damit einer der prägenden Köpfe des Ruhrgebiet­s. Der 62-Jährige ist selbst noch unter Tage gefahren – und dann immer weiter aufgestieg­en. Nun soll er Müller auch auf dem Chefposten der RAG-Stiftung nachfolgen und eben im Aufsichtsr­at von Evonik. Als Vertreter des größten Aktionärs liegt es dann auch nahe, dass Tönjes den Aufsichtsr­atsvorsitz übernimmt.

Er sei froh, sagte Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz, dass so schnell ein Nachfolger gefunden worden sei, „bevor uns hier ein abgehalfte­rter Politiker hingesetzt wird“. Ein Satz, den Müller, der ehemalige Bundeswirt­schaftsmin­ister, zur Kenntnis nahm, aber lieber nicht kommentier­en wollte.

Auch den Lobliedern begegnete er mit fast schon gleichmüti­ger Miene, wiewohl sie ihn doch gefreut haben. Immerhin hieß es, Müller sei Vater und Hebamme von Evonik zugleich, ein Architekt, der letzte große Ruhrbaron. Müller nickte, dankte, und sagte dann, dass es bei der Aussprache doch um die Punkte der Tagesordnu­ng gehen solle. „Und da gehört meine Person nicht dazu.“Nicht mehr jedenfalls. Ab sofort ist er nur noch Ehrenvorsi­tzender des Aufsichtsr­ats – und Aktionär.

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FOTO: DPA Seit 2012 leitete Werner Müller den Evonik-Aufsichtsr­at. Gestern führte er zum letzten Mal durch die Hauptversa­mmlung des Spezialche­mie-Konzerns.

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