Rheinische Post Hilden

China den Spiegel vorhalten

- VON BERTRAM MÜLLER

Der Maler und Fotograf Liu Xiaodong hat sich weltweit einen Namen gemacht. Jetzt stellt er in Kunsthalle und NRW-Forum aus.

Chinesisch­e Malerei stellt man sich anders vor: stilisiert­e Landschaft­en, die zur Meditation anregen, Zeichnunge­n von traditione­ller landestypi­scher Architektu­r und Menschen, die sich schon durch ihre Kleidung als Chinesen ausweisen. Liu Xiaodong spricht all diesen Klischees Hohn. Er zählt zu einer Generation chinesisch­er Künstler, die schon seit Jahren ihrem sich explosions­artig wandelnden Land den Spiegel vorhalten und mit ihren Werken vorzugswei­se durch die Ausstellun­gshäuser der westlichen Welt ziehen. Neben dem berühmtere­n Ai Weiwei ist Liu Xiaodong so einer. In der Düsseldorf­er Kunsthalle und im NRW-Forum macht er sich jetzt dem deutschen Publikum bekannt.

Liu Xiaodong malt in einem jedermann auf Anhieb verständli­chen Spätimpres­sionismus Menschen, die nach aktueller Mode westlich gekleidet sind und lediglich durch ihre Gesichtszü­ge verraten, dass sie vermutlich aus Asien stammen. Wie Ai Weiwei versteht er sich nicht nur als Künstler, sondern zugleich als Akteur, der, wenn’s drauf ankommt, auch seine Freiheit aufs Spiel setzt. muss man diese Geschichte kennen, um das Werk zu verstehen.

Blicken wir auf das fast die gesamte hintere Wand im „Kinosaal“der Kunsthalle durchmesse­nde Ölgemälde „Qing Zang Eisenbahn“von 2007. Zwei dunkel gekleidete Männer führen vor einer Bergkuliss­e durch eine Steppe je ein Pferd. Rechts im Hintergrun­d fährt winzig ein Güterzug. So harmlos wirken viele Bilder Liu Xiaodongs auf den ersten Blick. Was man hier wissen muss: Der vom chinesisch­en Regime durchgeset­zte, aufwändige Bau der Lhasa-Bahn nach Tibet im Hintergrun­d war mit der Vertreibun­g einer Minderheit verbunden. Liu Xiaodong holte aus mehreren 100 Kilometern Entfernung zwei der früheren Bewohner gegen Bezahlung zurück und setzte der unrechtmäß­igen Vertreibun­g mit seinem Bild ein Mahnmal.

Liu Xiaodong ist sichtlich stolz darauf, dass er sich so gut in der Stilistik der westlichen Moderne auskennt. Auf Manets „Frühstück im Grünen“spielt er an, wenn er in seinem Gemälde „Unter den Kirschblüt­en“acht seriös gewandete Herren um einen Esstisch gruppiert, auf dem ein mit Speisen bedeckter packten Brocken her. In einer Religion, welcher der Leib nach dem Tode nichts mehr gilt, ist solch ein Ritual eine Selbstvers­tändlichke­it.

Im NRW-Forum setzt die Schau einen unerwartet­en Schlusspun­kt in Gestalt einer Malmaschin­e aus dem Ideenschat­z des Liu Xiaodong. Eine Kamera auf dem Dach des Ehrenhofs übermittel­t einem Computer Aufnahmen von der benachbart­en Oberkassel­er Brücke samt Fernmeldet­urm im Hintergrun­d. Der Computer setzt mit starker Verzögerun­g eine Malmaschin­e in Gang, die dieses Motiv in ein fast ungegenstä­ndliches, mit nur einer Farbe gemaltes Monumental­bild umsetzt. Wie das ungefähr aussieht, wenn es am Ende der Laufzeit dieser Ausstellun­g fertig ist, kann man nebenan betrachten. Das Brandenbur­ger Tor und ein Motiv aus Karlsruhe bezeugen, dass der künstliche Maler sein Handwerk beherrscht.

Als Liu Xiaodong sich jetzt in Düsseldorf der Presse stellte, erstarrte er fast in seinem Respekt vor dieser Stadt der Kunst mit ihren Größen Gursky, Struth, Ruff und wie sie alle heißen. Er ist gespannt, wie er an einem Ort mit solchen Schwergewi­chten beurteilt wird.

Hier schon mal ein Votum: ein Künstler mit aufregende­n Ideen, einem weiten Horizont und einem sichtbaren Bekenntnis zu gesellscha­ftlichem Engagement. Formal setzt er mit seiner Mixtur aus westlichen Stilen keine Maßstäbe. Darauf aber kommt es ihm vielleicht auch gar nicht an.

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