Ciceros Lehrlinge
Eine ausgefallene Alternative zur Kommunikations- und Medienwissenschaft gibt es an der Universität Tübingen. Am Seminar für Allgemeine Rhetorik lernt man die Kunst des Überzeugens, wie sie einst Cicero praktizierte.
Einen in Deutschland einzigartigen Studiengang bietet die EberhardKarls-Universität Tübingen. In Deutschland kann man nur dort ein vollständiges Studium im Fach Allgemeine Rhetorik absolvieren.
Rhetorik, das ist altgriechisch für Redekunst. Die Tübinger Wissenschaftler begreifen Rhetorik aber als mehr als nur die Fähigkeit, sich eloquent auszudrücken und Stilmittel zu benutzen. „Rhetorik gibt es immer dann, wenn jemand überzeugen will“, sagt Joachim Knape, Professor für Allgemeine Rhetorik in Tübingen.
Seit der Antike, seit Aristoteles, Cicero und Quintilian, tragen Rhetorikwissenschaftler Wissen über das Überzeugen zusammen. „Wie die Philosophie ist die Rhetorik schon zweieinhalbtausend Jahre alt“, sagt Knape. Trotzdem war und ist die Rhetorik an europäischen Universitäten meistens nur ein Zusatz zu bestehenden Fächern.
Anders in Tübingen: 1967 wurde das Seminar für Allgemeine Rhetorik durch den Schriftsteller und ersten deutschen Rhetorikprofessor Walter Jens gegründet. Inzwischen zählt das Institut beständig etwa 500 Studierende. Das Studium ist zulassungsbeschränkt, zum Numerus clausus kommen bei der Bewerbung Motivationsschreiben und (nachholbares) Latinum dazu.
Das Fach bietet ein umfangreiches Studium, ist einmalig in seiner Art. Rhetorik ist eines der Aushängeschilder der Universität Tübingen. Man verstehe sich als Brennpunkt, an dem das Experten-Knowhow vieler anderer Fächer wie der Psychologie oder der Textwissenschaften gebündelt werde, sagt Knape.
Vom Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaften, der anderen großen Disziplin, die sich mit menschlicher Verständigung befasst, unterscheidet sich das Fach Rhetorik wesentlich. Der Forschungsfokus ist anders: Es geht nicht um allgemeines Kommunizieren, sondern um Überzeugen und Beeinflussen. Ob Antike oder Internet – ist die Kommunikation strategisch, ist sie im Fokus der Rhetorikforschung. Ein großer Teil des Studiums setzt sich mit der Rhetorik der Antike auseinander. Cicero und Quintilian etwa lesen die Rhetorikstudenten im lateinischen Original.
Das Fach ist praxisnah orientiert. „Im Studium sind auf jeden Fall ein Drittel aller Seminare Praxisseminare. In ihnen wird an spätere Be- rufsfelder herangeführt und Rhetorik praktisch vermittelt“, sagt Knape. Und an möglichen Berufen für Rhetoriker mangelt es nicht: Ob Pressesprecher, Journalist, PR-Manager, Werbetexter, Redetrainer, Coach für Politiker oder Redenschreiber, die Tätigkeiten sind vielfältig. Der Studiengang sei ein echter Türöffner, sagt Knape. „Mit Rhetorik hat man garantiert gute Berufschancen. Experten für Beeinflussungswissenschaft sind von Personalchefs gesucht.“
Denn beeinflussen wollen heutzutage fast alle, egal ob in persönlichen Überzeugungsreden, der Werbung, der Politik oder in den Medien, ob in der Straßenbahn oder auf YouTube. Von süßen Tieren bis zu Urlaubsbildern von Politikern, alles ist rhetorisch einsetzbar, soll unsere Meinung lenken. Ein Rhetoriker erkennt die Überzeugungsstrategien und ist damit immer einen Schritt voraus.
Ein wissenschaftliches Studium garantiert aber noch nicht den rhetorischen Überzeugungserfolg. Denn für Knape ist dieser auch abhängig von Zeit, Publikum und Situation. „Erfolgt hängt nicht an der großen Geste, dem ausgetüftelten Text, an Slogans oder an großartigen Auftrittshandlungen. Gerade die, die vom Schema abweichen, sind erfolgreich“, sagt er. Bundeskanzlerin Merkel sei ein Beispiel dafür, dass Authentizität für das Überzeugen auch ausschlaggebend sei.
Das Studium setzt sich mit Beispielen von Rhetorik auseinander. Das Angebot reicht von Ciceros Catilinarischen Reden über Rhetorik im Wahlkampf bis zu Fernsehen, und Sozialen Medien.
Auch das Gegenteil guter Rhetorik wird behandelt: Anders als beispielsweise Demagogie kenne Rhetorik Grenzen, sagt Knape: „Generell gilt, dass Demagogen, die großen Manipulatoren, die Aufrichtigkeitsbedingung der Rhetorik verletzen.“Ein schwierig einzuordnender Fall sei zum Beispiel Donald Trump. „Obwohl er selbst vermutlich glaubt, das Richtige zu tun, bei diesem fahrlässigen Umgang mit der Wahrheit kippt es in Demagogie“, sagt Knape. Lüge, Betrug und Vertrauensbruch aus egoistischen Interessen – so etwas sei nicht Teil der Rhetorik.